
Es klingelt. Ich mache die Tür auf. Da ich im 3. Stock wohne, keucht es hörbar langsam nach oben. In Sichtweite meldet sich der Vertriebler eines Telekommunikationsanbieters meines Misstrauens. Er stöhnt darüber, dass er den ganzen Tag schon so viele Treppen steigen musste und deshalb aus der Puste ist. Obwohl er eigentlich ganz fit aussieht. Nach kurzer Klärung, wer er ist zwischen den Etagen, bittet er demütig und in leicht gebückter Haltung darum, nach oben kommen zu dürfen. Was seltsam ist, weil ich ihm nicht verboten hatte, auf meine Ebene zu kommen. Nachdem ich ihm freundlich, aber bestimmt mitteilte, dass bei meinem Anschluss derzeit alles in Ordnung ist und mein Vertrag vor kurzem aktualisiert wurde, schleicht er von dannen.
Später bringt mich sein merkwürdiges Verhalten zum Nachdenken. Wollte er mich manipulieren? Dieses mal jedoch mit einer anderen als der mir bislang bekannten Masche einer unangenehmen Aufdringlichkeit? Oder bin ich mal wieder überkritisch?
In der Transaktionsanalyse bzw. dem Dramadreieck gibt es (u.a.) die Opfer- und Retter-Rollen. Opfer werfen den Köder „Bitte hilf mir“ aus:
- Die Welt ist schlimm (so viele Treppen).
- Ich bin schwach (keuchen, stöhnen, ich habe ein schweres Leben).
- Aber du kannst mich retten (Könnte ich Ihre Kundenummer haben?).
Trifft dieser Köder persönlichkeitsstrukturell auf eine Retter-Person, haben sich die Passenden gefunden:
- Natürlich helfe ich dir, du Armer. Du hast wirklich einen schweren Job.
- Komm doch auf meine Ebene, damit wir auf Augenhöhe sprechen können.
- Natürlich suche ich dir schnell meine Kundennummer heraus.
- Natürlich suche ich gleich nach meinem Vertrag, ob der wirklich noch aktuell ist.
Eine Manipulation findet dann statt, wenn wir das Gefühl haben, in eine Rolle – in diesem Fall die Retter-Rolle – gedrängt zu werden und auf eine bestimmte Art antworten zu müssen, damit unser Gegenüber nicht beleidigt ist.
Unser Alltag ist voll von solchen Spielchen:
Opfer-Rolle | Retter-Rolle |
Schmeckt’s euch? | Ja, sehr gut. Wie immer. |
Geht es dir gut? | Mir geht es gut. Und dir? |
Ich mache das gut, oder? | Ja, super. |
Die Aufgabe ist sinnlos. | Da hast du recht. |
Ich kann das nicht. | Komm’, ich helfe dir. |
Schau, was ich heute Tolles gekauft habe. | Du hast einen wirklich guten Geschmack. |
Habe ich das Gefühl, frei antworten zu können, bspw. „Ja, es schmeckt. Aber ich würde trotzdem gerne nachsalzen“ ist keine Manipulation im Spiel. Nur liegt es in der Natur der Sache, dass ein Nein bei einem Vertriebler an der Haustür im Normalfall nicht gut ankommt. Dumm nur, dass ich persönlich im ersten Moment zwar empfänglich für solche Spielchen bin, wie vermutlich die meisten. Allerdings reagiere ich im zweiten Moment extrem allergisch auf solche Angebote, die ich dann dankend ablehne, egal ob es dazu bewusst oder unbewusst kam.