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Ein beinahe uralter Trick aus dem systemischen Denken ist die Unterteilung einer Sache in verschiedene Bausteine, um genauer zu wissen, wo die Probleme wirklich liegen und entsprechend anzupacken. Eines dieser Probleme ist der Wille etwas zu tun, dem sich der Psychotherapeut Roberto Assagioli in den 1970er Jahren annahm. Assagioli war der Begründer der Psychosynthese, einer Therapierichtung, die heutzutage kaum noch jemand kennt, jedoch vieles vorweg nahm, was später durch neurobiologische Verfahren bestätigt wurde. Übertragen wir den Willen in unsere Zeit, erscheint der Begriff der Motivation allerdings passender und neutraler.
7+1 Bausteine des Willens
Assagioli unterschied 7 Bausteine des Willens. Auf den ersten Blick scheinen manche dieser Bausteine in die gleiche Kategorie zu gehören. Ausdauer und Disziplin zum Beispiel oder Mut und Entscheidungsfreude. Nach näherer Betrachtung ist es jedoch sinnvoll, bei diesen 7 Bausteinen zu bleiben. Auch wenn diese verschiedenen Blickwinkel auf unsere Motivation nicht getrennt voneinander funktionieren. Habe ich Mut, ist auch mein Energielevel höher. Kann ich mich schlecht von etwas Nicht-Gewähltem trennen, leidet vermutlich auch meine Konzentrationsfähigkeit:
- Überblick: Der Überblick über die eigenen Aufgaben und Möglichkeiten ist essentiell, um zu planen, organisieren, Prioritäten zu setzen und später Erfülltes wieder im Gesamtkontext zu sehen und zu integrieren. Der Überblick ist daher zu Beginn und am Ende wichtig.
- Mut und Initiative: Ab und an werden wir mit Möglichkeiten und Tätigkeiten konfrontiert, die komplett neu sind. Wir wissen nicht, was dabei herauskommt und ob es Schwierigkeiten geben wird. Wir bewegen uns ins Offene.
- Entscheidungsfreude: Bei der Entscheidungsfreude geht es weniger um etwas komplett Neues – obwohl das auch ein Aspekt sein kann – sondern um die Entscheidung zwischen zwei oder mehr Optionen. Wir sollten uns daher von den nicht gewählten Optionen ohne Groll trennen können, im Bewusstsein, dass wir im Leben nicht alles haben können.
- Energie: Jeder Mensch geht zwar mit einer persönlichen Grundenergie durch das Leben. Diese kann jedoch durch ein spannendes Projekt nach oben steigen. Ist die persönliche Energie sehr niedrig, kann dies durch eine große Ausdauer ausgeglichen werden. Ich kann ein Buch in 3 Monaten oder in 3 Jahren schreiben. Manchmal ist es auch gut, sich Zeit zu lassen und seine Energie einzuteilen.
- Konzentration und Fokussierung: Nach dem Überblick, dem Wagnis, ein neues Projekt anzugehen und der Entscheidung für und gegen etwas sollten wir uns ganz und gar auf das Angestrebte konzentrieren.
- Ausdauer: Manche Projekte lassen sich mit viel Energie schnell durchziehen. Andere brauchen einen langen Atem und die Beharrlichkeit, dran zu bleiben und sich nicht abbringen zu lassen. Schwierige Gespräche beispielsweise lassen sich langfristig effektiver mit Beharrlichkeit als mit dem Holzhammer durchführen.
- Disziplin: Während sich Ausdauer eher auf die Zeit an sich bezieht, strebt die Disziplin die Erhöhung der Qualität einer Tätigkeit an, indem sie die eigene Impulsivität beherrscht. Dies lässt sich gut an Sportarten verdeutlichen: Für manche Sportarten, bspw. einen Marathon, brauche ich mehr Ausdauer als Disziplin. Es ist nicht wichtig, ob ich schön laufe, sondern lediglich mit einer guten Zeit ins Ziel zu kommen. In anderen Sportarten, bspw. Fußball oder Turnen, brauche ich zusätzlich Disziplin. Beim Fußball kommt es darauf an, eine Ecke wieder und wieder zu üben, bis sie perfekt auf einem freundlichen Kopf landet. Und beim Turnen bekomme ich Punkte für perfekte, elegante Bewegungen. Ich muss also lernen, etwas nicht irgendwie, sondern auf eine bestimmte Weise zu tun.
Mir persönlich fehlt bei den Bausteinen ein weiterer Punkt:
8. Durchsetzung: Wie gehe ich mit Widerständen um? Wie verteidige ich meine Entscheidung gegen andere?
Motivation als Thema von Mitarbeitergesprächen
Aus psychologischer Sicht haben wir mit diesen 8 Aspekten der eigenen Motivation eine großartige Möglichkeit, zu untersuchen, woran es liegt, dass Mitarbeiter*innen motiviert sind oder nicht:
- Hast du einen Überblick über deine Tätigkeiten und weißt, welche Möglichkeiten du zum Handeln hast?
- Wie leicht fällt es dir auf einer Skala von 1-10, etwas Neues auszuprobieren? Wobei ab 11 der Übermut beginnt.
- Wie leicht / schwer fällt es dir, dich von dem Nicht-Gewählten zu trennen?
- Wie hoch ist dein Energielevel bei diesem Thema auf einer Skala von 1-10?
- Wie leicht / schwer fällt es dir, für eine bestimmte Zeit alles andere auszublenden und dich voll und ganz auf dein Thema zu konzentrieren?
- Wie leicht / schwer fällt es dir, solange an der Aufgabe dran zu bleiben, bis sie erledigt ist, insbesondere wenn es länger dauert. Denkst du, die Aufgabe ist eher eine Kurz- oder Langstrecke?
- Glaubst du, die Aufgabe erfordert es, sich in Feinheiten einzuarbeiten oder geht es eher darum, sie zackig umzusetzen? Hast du Lust darauf, die Tätigkeit so lange zu verfeinern, bis sie perfekt ist, wenn es sinnvoll erscheint?
- Wie leicht / schwer fällt es dir, dich gegen äußere Widerstände argumentativ durchzusetzen?
Auf der Teamebene
Auch auf der Teamebene bieten diese 8 Aspekte der Motivation gute Ansätze zur Diskussion und Aufgabenverteilung:
- Haben wir alle einen umfassenden Überblick über das Anstehende?
- Welche (Teil-)Aufgaben erfordern einen gewissen Mut und wem fällt es leicht, sich darauf einzulassen?
- Wogegen entscheiden wir uns und wie schwer fällt uns das?
- Wie hoch ist unser Energielevel bei dem anstehenden Projekt?
- Welche (Teil-)Aufgaben könnten länger dauern und wer bringt die entsprechende Ausdauer mit?
- Welche (Teil-)Aufgaben müssen kurz und knackig erledigt werden und wer fühlt sich dafür geeignet?
- Welche (Teil-)Aufgaben erfordern eine gewisse Lust an Perfektion und wer bringt die entsprechende Disziplin dazu mit?
- Welche (Teil-)Aufgaben erfordern lediglich eine Erledigung ohne Schnörkel und wer fühlt sich dazu berufen?
- Müssen wir unsere Entscheidungen nach außen rechtfertigen? Wenn ja, was brauchen wir dafür und wie leicht wird uns das fallen?
Wir sehen also, dass v.a. die Aspekte der Initiative, Energie, Ausdauer und Disziplin individuelle Kompetenzen erfordern, während der Überblick, die Konzentration, Entscheidungs-freude und Durchsetzung eher Gesamt-Team-Themen sind.
Auf Team-Ebene lässt sich zudem elegant mit einer Motivations-Canvas arbeiten:

Literatur:
Roberto Assagioli – Die Schulung des Willens