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Die Zukunft aushalten oder doch lieber gestalten

Kompetenzen für ein gutes Leben

Im ersten Moment scheint es in einer Welt nicht nur stetigen, sondern hyperschnellen Wandels zentral zu sein, sich diesem Wandel anzupassen. Für eine solche Anpassungsleistung lassen sich verschiedene Begriffe nennen: Adaptivität beispielsweise oder Agilität in einer Mischung aus Schnelligkeit, Anpassungsfähigkeit und lebenslangem Lernen – in der Regel, um Kundenwünsche bestmöglich zu erfüllen.

Die Haltung der Anpassungsfähigkeit geht mir jedoch – je nach Sichtweise – entweder nicht weit genug oder zu weit: Will ich wirklich nur ein Rädchen in der Geschichte sein zwischen algorythmisierten Restaurantempfehlungen und Wunscherfüllungen von Kunden? Oder will ich in meinem Leben eigene Akzente setzen?

Daraus entstand der Gedanke, einen Guide durch den Dschungel einer Vielzahl von Kompetenzen zu entwickeln.

Was also brauchen wir heute, um in der Welt Fuß zu fassen und gut zu leben?

Was es dazu braucht, sind aus meiner Sicht:

  • Achtsamkeit, um den Wirren der Welt gelassen zu begegnen, Überlastungen zu vermeiden und nicht in die Falle neoliberaler Forderungen nach einem Schneller, Höher, Weiter zu tappen.
  • Resilienz, um Krisen nicht nur gut zu überstehen, sondern auch daran zu wachsen.
  • Die Selbstkenntnis, um zu wissen, wer ich bin und was ich wirklich will anstatt sich von äußeren Umständen antreiben zu lassen.
  • Die Akzeptanz der eigenen menschlichen Fehlbarkeit, um in einer digitalen Welt menschlich zu bleiben, seine eigenen Grenzen zu kennen und sich nicht selbst zu überfordern.
  • Den Weitblick, um sich eigene optionale Versionen in der Zukunft vorzustellen, die mich motivieren und denen ich folgen kann.
  • Kritikfähigkeit als Feedback und Verortung in der Welt und um sich weiterzuentwickeln.
  • Einen gesunden Optimismus, um sich die Lust am Leben trotz täglicher Hiobsbotschaften nicht nehmen zu lassen.
  • Improvisationskompetenz, um spontan zu bleiben, Chancen wahrzunehmen und zu nutzen oder um überhaupt in der Arbeitswelt zu überleben,
  • sowie Netzwerke sowohl für Krisenzeiten als sozialer Resilienzfaktor sowie als Karrierebooster bzw. entsprechende Netzwerkkompetenzen, um sich gegenseitig zu unterstützen.

Diese neun Kompetenzen ordne ich den vier Feldern in einem Kompass zu:

Bei anderen Autoren ist häufig von lebenslangem Lernen, Selbstmanagement oder unternehmerischem Denken die Rede. In der postmodernen Ideologie der Selbstoptimierung akzeptieren wir, dass wir im Grunde nichts am System verändern können, sondern lediglich uns selbst.

Ich behaupte nicht, dass ein lebenslanges Lernen, Selbstmanagement und unternehmerisches Denken nicht wichtig wären. Es kommt wohl eher auf den Blickwinkel und die Balance an. In meinem Kompass spielen die genannten Punkte daher eine untergeordnete Rolle. Mir geht es um das gute Leben an sich und nicht nur um eine gelingende berufliche Laufbahn. Die ergibt sich häufig von alleine, wenn ich mit mir und meinem Leben zufrieden bin.

Was bei vielen Systemen weitgehend fehlt, bei mir jedoch eine prominente Stelle einnimmt, sind die Lust an der eigenen Entwicklung mit Hilfe von Optimismus und Improvisationskompetenz, als auch die Demut im Umgang mit dem eigenen Scheitern und Kritik. Selbst in einem so umfassenden System wie den 21 Future Skills, die in Zusammenarbeit des Stifterverbands mit McKinsey entstanden1, steht bei Lösungsfähigkeit lediglich „Lösen von konkreten Aufgabenstellungen, für die es keinen vorgefertigten Lösungsansatz gibt, durch Urteilskraft und einen strukturierten Ansatz“. Von einem Improvisieren aufgrund unzureichender Bedingungen ist keine Rede. Frage ich jedoch in meinen Seminaren, ob meine Teilnehmer*innen improvisieren müssen, heißt es ganz klar: Täglich. Ohne Improvisieren wäre die Arbeit nicht möglich. Und auch von einer Akzeptanz eigener Fehler steht hier nichts. Stattdessen lesen sich die 21 Skills wie direkt von Unternehmen in die Feder diktiert. Eine Akzeptanz von Scheitern und damit die Akzeptanz von Menschlichkeit wäre hier vermutlich eher störend. Ich denke jedoch, dass es gerade im Hinblick auf die Zunahme psychischer Erkrankungen unerlässlich ist, dass Mitarbeiter*innen sich nicht nur selbst optimieren, sondern auch lernen, mit dem eigenen Scheitern leichter umzugehen.

Das soll nun nicht heißen, dass solche Zusammenfassungen nicht hilfreich wären. Die Kompetenzen sind schließlich nicht aus der Luft gegriffen. Es fehlt jedoch meist der Ausgleich zwischen unternehmerischen und Mitarbeiter-Interessen. Wer sich auf ein lebenslanges Lernen einlassen soll und an seiner Selbstoptimierung arbeitet, sollte dies mit Augenmaß und Achtsamkeit tun.

Insofern ist in meinem Kompass der Balancegedanke zwischen Egofreundlichkeit und Sozialverträglichkeit zentral:

Gleichzeitig bilden die Kompetenzen miteinander ausgleichende Balancen:

  • Achtsame Improvisationskompetenz: Mit Achtsamkeit lässt sich besser improvisieren, ohne sein Umfeld mit spontanen Ideen zu überfordern.
  • Resiliente Selbstkenntnis: Der Mensch ist dazu gemacht an Krisen zu wachsen und sich stetig weiter zu entwickeln. In diesem Sinne ist unser Ich immer auch ein resilientes, an Krisen wachsendes Ich. Gleichzeitig kann der Resilienz-Gedanke zu einem neoliberalen Mantra der Selbstoptimierung werden, um systemisch nichts verändern zu müssen.
  • Fehlbarer Weitblick: Wer nur an eine optimale, fehlerfreie Version seiner Selbst glaubt, wird eines Tages wie Ikarus aus den Wolken in die Tiefe stürzen.
  • Kritikfähiger Optimismus: Wer als Optimist nicht kritikfähig ist, läuft Gefahr sich in einem überbordenden Hurra!-Optimismus zu verrennen.
  • Achtsame, resiliente, optimistische, weitblickende und selbstkritische Netzwerke: Wer gibt, dem wird gegeben. Ein Netzwerk ist erst tragfähig und von Dauer, wenn ich weiss, was ich will und mich achtsam auf andere einlasse.

Mein Kompass erhebt nicht den Anspruch, der Weisheit letzter Schluss zu sein. Meine neun Kompetenzen mit der Ausrichtung auf die eigene Entwicklung sowie die Verantwortungsübernahme in der Welt sind jedoch aus den letzten Jahren meiner Beratungs-, Seminar- und Coachingpraxis entstanden. Mit anderen Worten: Was Sie hier sehen orientiert sich an den Problemen, mit denen die Organisationen und Unternehmen in meinem Umfeld tagtäglich zu tun haben.

1Vgl. https://stifterverband.org/medien/future-skills-2021

Ein ehrlicher Umgang mit Veränderungen

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Wie oft befinden wir uns in diesem großen Als-ob-Spiel? Wir tun so, als würden wir genau wissen, was zu tun ist. Die Mitarbeiter*innen wissen im Rahmen von Ankündigungen großer Veränderungen natürlich, dass das nicht stimmt, weil die Erfahrung oft genug zeigte, dass es anders kam. Und wenn das dann passierte, wird es nicht heißen: Wir haben gelogen. Oder: Wir wussten es nicht besser. Sondern: Wir mussten reagieren. Oder: Wir haben schnell gelernt. Wenn uns das nicht an die Politik der letzten Jahre erinnert?

Doch die meisten Mitarbeiter*innen spielen trotz besseren Wissens dieses Spiel mit. Entweder weil sie davon ausgehen, dass es ohnehin nichts bringen würde, Kritik zu üben. Oder weil sie bereits aufgegeben haben. Oder weil es zu anstrengend ist. Sie konzentrieren sich auf ihr Alltagsgeschäft und blenden den Rest aus. Der kleine Rest, der Kritik über, gilt als Pessimist und Querulant.

Wie sagt der Kabarett-Comedian Till Reiners so treffend: „Die Wahrheit ist wie ein entfernter Verwandter. Schon nett, muss jetzt aber nicht jeden Tag sein.“

Ginge das nicht anders? Irgendwie würdevoller. Wie wäre es damit:

„Die Fakten sind uns wohl allen weitgehend bekannt. Klar ist auch, dass wir handeln müssen. Denn, wenn wir jetzt nicht handeln, verpassen wir Chancen, den Anschluss an die Konkurrenz, was auch immer. Wir könnten jetzt so tun, als ob wir genau wüssten, was zu tun ist. Das wäre jedoch gelogen. Wir schiffen sicherlich nicht im Trüben. Wir rechnen mit Wahrscheinlichkeiten. Wir sichern uns ab. Wir lassen uns beraten. Und wir bringen eine Menge Erfahrungen aus den letzten Jahrzehnten mit. Dennoch wissen wir nicht zu 100%, ob das, was wir heute tun, genau zu dem führt, was wir uns erhoffen. Es bleibt also immer ein wenig wackelig. Ich würde es mir anders wünschen. Oder auch nicht: Denn dann würden wir in einem Determinismus leben, der das Leben letztlich langweilig macht. Ist es nicht so? Wir heiraten, bekommen Kinder, erlernen einen Beruf und wünschen uns, dass alles so wird, wie wir uns das immer erträumt haben … Und dann kommt es doch anders. Wir merken nach einigen Jahren, dass unser*e Partner*in eigene Wünsche hat, die nicht mehr zu unseren passen, dass unsere Kinder Schulprobleme haben, dass unser Beruf unsere Neigungen weniger trifft, als wir uns das im Studium oder unserer Ausbildung dachten. Was also tun? Würden wir mit dem Wissen in ein paar Jahren heute anders handeln, um vielleicht anders enttäuscht zu werden? Wir hätten dann nicht geheiratet und keine Kinder und wüssten nicht einmal, was wir verpassen. Und wir hätten einen anderen Job, der sich ebenfalls als schwierig herausstellt. Wer die Bremsen an seinem Fahrrad repariert, weiß, was er tun muss, damit es später funktioniert. Komplexe Entscheidungen, insbesondere, wenn sie viele Menschen betreffen, sind immer unsicher. Wir werden nach bestem Wissen und Gewissen handeln. Dennoch geht es letztlich nicht nur darum, was wir heute entscheiden, sondern auch darum, wie wir uns gemeinsam auf diese Entscheidung einlassen und mit allen Folgen dieser Richtungsentscheidung umgehen, v.a. wenn wir später Anpassungen vornehmen müssen. In diesem Sinne hoffe ich, dass wir gemeinsam einen guten Weg für die Zukunft einschlagen, mit dem wir alle – trotz Unsicherheit – gut leben können.“

Jetzt hör mir doch mal zu!

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Die meisten von uns werden vermutlich von sich behaupten, dass Sie gut zuhören können. Dabei ist richtig gutes Zuhören auch für mich als professionell geschulter Coach nicht immer einfach. Ich ertappe mich selbst regelmäßig dabei, dass ich zu schnell denke und antworte und dabei ein echtes, empathisches Zuhören bisweilen auf der Strecke bleibt. In diesen Momenten bekommt offensichtlich der Trainer in mir Oberhand, während der Coach ein Mittagsschläfchen hält. Zudem gibt es ja auch so viele Gründe gegen ein offenes und geduldiges Zuhören:

  • Unser Gegenüber ist stur, dominant und egoistisch, will sich ohnehin nichts sagen lassen und sucht auch nicht nach Lösungen, sondern will nur seinen Frust loswerden.
  • Unser Gegenüber hört selbst nicht zu oder hat mal wieder vergessen, was wir vereinbart haben.
  • Unser Gegenüber ist überempfindlich. Das nervt.
  • Unser Gegenüber ist naiv und uninformiert. Wir leben anscheinend auf verschiedenen Planeten.
  • Unser Gegenüber kommt immer wieder mit den gleichen Themen und entwickelt sich keinen Schritt weiter.
  • Und schließlich haben wir oft auch keine Zeit bzw. sind uns andere Dinge wichtiger.
  • Bitte hier gedanklich eigenes Lieblingszuhörhindernis einfügen.

Das mag alles richtig sein. Dennoch gibt es immer wieder Situationen, in denen ein gutes Zuhören zu einer Deeskalation führt und oft auch zu Lösungen. Und vielleicht ist Ihr Gegenüber so stur und egoistisch, weil ihm oder ihr noch nie jemand richtig zuhörte. Dies gilt insbesondere für schwierige Mitarbeiter*innen, die ich geerbte Fälle nenne.

Ein Zuhör-Test

Ob Sie wirklich gut zuhören können, lässt sich leicht testen: Können Sie gut zuhören?

5 Möglichkeiten zu reagieren

Letztlich gibt es in Gesprächen fünf typische Reaktionen (es gibt natürlich mehr, bspw. das Ironisieren, aber diese 5 sind am häufigsten vertreten):

  1. Ein Ratschlag: Probier doch mal …
  2. Kritik: Das musste ja passieren, weil …
  3. Ein Vergleich: Das ist mir neulich auch passiert.
  4. Empathie: Das ist schlimm. Ich verstehe, dass …
  5. Interesse: Wie geht es dir damit?

Sie können sich folglich in der nächsten Zuhör-Situation selbstkritisch die Frage stellen: Höre ich wirklich zu? Habe ich wirklich verstanden, um was es meinem Gegenüber geht? Zeige ich ein echtes Interesse an meinem Gegenüber? Oder gebe ich vorschnell Ratschläge, lenke ab oder bewerte mein Gegenüber?

Ein Phasenmodell der Themenzentrierten Interaktion

Die TZI ist vermutlich das bekannteste und beste Modell zur Analyse von Gruppendynamiken. Wenn ich das 4-Faktorenmodell in meinen Seminaren erläutere, ist es idR. sofort einsichtig:

  • Das Es: Es gibt ein Thema, an dem wir alle zusammen arbeiten und Ziele, die wir verfolgen.
  • Die Ichs: Es gibt Einzelinteressen und -bedürfnisse der Teilnehmer*innen, was auch Teamleitungen mit einschließt.
  • Das Wir: Das Teamgefüge lässt sich über verschiedene Merkmale beschreiben, insbesondere Dauer, Intensität, Homogenität und gemeinsame Erfahrungen.
  • Der Globe: Jedes Team wird durch vielfältige äußere Faktoren beeinflusst, die sich eher nicht im eigenen Einflussbereich befinden. IdR. sprechen wir hier von der Kultur eines Unternehmens, aber auch von gesellschaftspolitischen Trends.

Dass sich insbesondere die ersten drei Faktoren in einer Balance befinden sollten, leuchtet ebenso schnell ein. Und dass dieses Gefüge immer wieder durcheinander gerät, hat schon jede*r am eigenen Leib erfahren. Soweit, so hilfreich. Doch wie lässt sich damit arbeiten, wenn es tatsächlich zu einer Dysbalance kommt?

In diesem Fall ist es hilfreich, sich ein 3-Phasenmodell der TZI vorzustellen. Die TZI als Vorbereitungs-, Analyse- und Interventions-Tool:

1. Die TZI als Vorbereitungs-Tool

Das Modell der TZI ist enorm hilfreich, um sich als Führungskraft oder Teamleitung klar zu machen, was mich im Rahmen eines Teamtreffens erwartet:

Das ICH der Gruppenleitung

  • Wie geht es mir, wenn ich an die Gruppe denke? Worauf freue ich mich? Was macht mir Sorgen?
  • Worin besteht meine Rolle / Aufgabe?
  • Wie wirkte ich bislang / will ich wirken?

Die Ichs in der Gruppe

  • Aus welchen Situationen (privat, beruflich) kommen die Teilnehmer*innen?
  • Welche Erwartungen haben die TN an mich / das Thema / die Gruppe?

Das WIR – die Gruppe

  • Kennen sich die Teilnehmer*innen oder treffen sie sich zum ersten mal? Gibt es Untergruppen, die evtl. nicht miteinander können?
  • Besteht evtl. schon eine Ordnung / Hierarchie? Gibt es verschiedene Hierarchie- / Führungsebenen?
  • Welche Sprache / Kommunikation (Umgangssprache, direkt, humorvoll, diplomatisch, wissenschaftlich, Du / Sie) sind die Teilnehmer*innen gewohnt?
  • Inwiefern kann ich mich auf die Sprache / Kommunikation der Gruppe einlassen?
  • Wie steht die Gruppe zu den anzugehenden Themen?
  • Sind Widerstände oder Konflikte zu erwarten?
  • Welche Ideen habe ich, die Gruppe zu einem produktiven Team zu bewegen?
  • Treffen sich die richtigen Personen zum passenden Thema?
  • Passen die geplanten Methoden zur Gruppe?

Das ES – Themen und Ziele

  • Welche Themen sollen besprochen werden?
  • Welche Ziele gibt es? Gibt es unterschiedliche Ziele (Ichs, Wir, Globe)?
  • Wie dringend brauchen wir Ergebnisse?
  • Welches Interesse habe ich selbst als Leitung an den Themen?
  • Bleibt während des Treffens Arbeit liegen?
  • Welche Wertigkeit hat das Treffen i.Vgl. zur sonstigen Arbeit?
  • Passen die geplanten Methoden zum Thema?

Die Rahmenbedingungen (GLOBE)

  • Ist das Thema aufoktroiert oder frei gewählt?
  • Ist die Gruppenzugehörigkeit freiwillig?
  • Ist die zeitliche Struktur passend für die Themen?
  • Ist der örtliche Rahmen passend (öffentlich, ungestört, Nebenräume, Sitzordnung)?
  • Welche medialen Ressourcen (Flipchart, Beamer, Pinwand, Moderationstools) sind vorhanden?
  • Welche Erwartungen gibt es von der Organisation?
  • Gibt es ein aktuelles gesellschaftliches Geschehen (Nachrichten, Wetter, Verkehrslage, Bahnstreik) mit Auswirkungen auf die Gruppe oder einzelne Teilnehmer*innen?
  • Ist die Gruppe entscheidungsfähig oder werden im Anschluss die Beschlüsse der Gruppe von einem höheren Gremium bewertet?
  • Gibt es Widerstände oder Unterstützer von außen?

2. Die TZI als Analyse-Tool

Als zweites empfehle ich die TZI als Analyse-Tool, um direkt in einem Gruppentreffen Dysbalancen wahrzunehmen:

Das Ich der Gruppenleitung

  • Ich stelle mich selbst nicht in den Dienst der Sache, sondern präsentiere mich gerne als Leitung.
  • Ich fühle mich der Gruppe nicht gewachsen und habe Angst davor, die Gruppe nicht gut leiten zu können.
  • Mir fehlen evtl. Erfahrungen oder Kompetenzen zur Leitung der Gruppe.
  • Mir fehlt der Stallgeruch.
  • Meine Rolle und Aufgabe ist unklar. Der Auftrag wurde unsauber geklärt.
  • Es gibt widersprüchliche Aufträge (Geschäftsleitung, Personalentwicklung, Gruppe).
  • Ich habe Vorurteile gegenüber der Gruppe / Branche / …

Die ICHs in der Gruppe

  • Einzelne oder alle Teilnehmer*innen haben im Grunde keine Lust auf das Treffen.
  • Einzelne Teilnehmer*innen sind aus irgendeinem Grund etwas Besonderes (neu, anderer Fachbereich, Geschlecht, …).

Das WIR – die Gruppe

  • Die Stimmung weist eine hohe Harmonie / Ungeduld / Unruhe / Gereiztheit / Unsicherheit / … auf.
  • Einzelne Untergruppen wollen am liebsten unter sich bleiben.
  • Manche in der Gruppe sprechen viel, andere gar nicht.
  • Manchen in der Gruppe wird andächtig zugehört, anderen nicht.
  • Es besteht eine heimliche Meinungsführerschaft.
  • Die Gruppe ist in ihrer Kommunikation inhomogen (Du / Sie, direkt / vorsichtig, umgangssprachlich / wissenschaftlich).
  • Es gibt Reizthemen in der Gruppe.
  • Es fehlen für das bearbeitende Thema essentielle Teilnehmer*innen.
  • Die Gruppe fremdelt mit den eingesetzten Moderationsmethoden oder der Gesprächsführung.

Das ES – Themen und Ziele

  • Verschiedene Untergruppen oder Teilnehmer*innen verfolgen unterschiedliche Ziele.
  • Der Zeitdruck erlaubt keine Kreativität oder Teamentwicklung.
  • Die Teilnehmer*innen sind parallel mit anderen Themen (Handy, Laptop) beschäftigt.

Die Rahmenbedingungen (GLOBE)

  • Das Thema wurde den Teilnehmer*innen aufgedrückt.
  • Das Thema ist ein Prestigeobjekt.
  • Die Zeit reicht für den Umfang der Aufgaben nicht aus.
  • Die Räumlichkeiten passen nicht.
  • Die Gruppe ist in wichtigen Belangen nicht entscheidungsfähig.

3. Die TZI als Interventions-Tool

Als drittes gilt es, die Balance zwischen den vier Polen wieder herzustellen. Dazu einige Erfahrungen aus meiner Praxis als Seminarleiter:

Die ICHs in der Gruppe

  • Einzelne oder alle Teilnehmer*innen haben im Grunde keine Lust auf das Treffen.

Praxisbeispiel: Ich bekam vor einigen Jahren den Auftrag für alle Führungskräfte einer Stadtverwaltung ein Pflichtzeitmanagementseminar abzuhalten. Dass die Führungskräfte nicht begeistert sein werden, erfuhr ich bereits durch die Personalentwicklung. Die Stimmung war entsprechend. Eine teilweise Lösung ergab sich durch eine neue Auftragsklärung im Seminar und damit eine positive Erwartungsenttäuschung der Teilnehmer*innen: „Nein, ich mache hier keine Mitarbeiter-Optimierung, sondern arbeite bedürfnisorientiert.“

  • Einzelne Teilnehmer*innen sind aus irgendeinem Grund etwas Besonderes (neu, anderer Fachbereich, Geschlecht, …).

Praxisbeispiel: In einem Seminar neulich setzte sich eine Person weit weg von allen anderen. Dadurch ergab sich eine spürbare Dysbalance zwischen dieser Person und der restlichen Gruppe, die sich schnell auflösen ließ: Auf Nachfrage wurde klar, dass die Person krank war und die anderen im Raum nicht anstecken wollte. Manchmal ist es sehr einfach, die Balance wieder herzustellen.

Das WIR – die Gruppe

  • Die Stimmung weist eine hohe Unruhe auf.

Praxisbeispiel: Vor ein paar Jahren leitete ich ein Führungsseminar für ein Gruppe von Vertriebler*innen. Am zweiten Tag des Seminars kam auf einmal eine große Unruhe auf und beinahe alle begannen heimlich auf ihre Laptops zu schauen und zu tuscheln. Schnell wurde klar, dass am Morgen die aktuellen Quartalszahlen veröffentlicht wurden. Ich machte daraufhin eine halbe Stunde Pause, damit die Gruppe sich über die Zahlen austauschen konnte. Anschließend konnten wir konzentriert weiter arbeiten.

  • Einzelne Untergruppen wollen am liebsten unter sich bleiben.

Praxisbeispiel: Hier braucht es heterogene Kleingruppenreflexionen, d.h. Gruppenarbeiten mit Personen, die sich noch nicht kennen.

  • Manche in der Gruppe sprechen viel, andere gar nicht.

Praxisbeispiel: Hier helfen strukturierte Moderationsmethoden, bspw. 1-2-4-All: Zu einem Thema macht sich zuerst eine Person eine Minute lang Gedanken, dann folgt zwei Minuten lang ein Austausch zu zweit, dann zu viert und schließlich im Plenum.

  • Die Gruppe fremdelt mit den eingesetzten Moderationsmethoden oder der Gesprächsführung.

Praxisbeispiel: Neulich war ich einer Gruppe zu wissenschaftlich. Ich reagierte mit Humor und begann immer dann, wenn mir auffiel, zu abgehoben zu wirken, meinen eigenen Vortrag zu dolmetschen.

Das ES – Themen und Ziele

  • Verschiedene Teilnehmer*innen verfolgen unterschiedliche Ziele.

Praxisbeispiel: Streng genommen ist das der Normalfall, der sich nur durch eine sehr individuelle Agenda lösen lässt, die am besten in regelmäßigen Untergruppen umgesetzt wird. Dabei sollten freilich die gemeinsamen Ziele (im Plenum) nicht aus dem Auge verloren werden. Eine Methode, um Einzelinteressen gerecht zu werden ist der Marktplatz der Kompetenzen: Jede*r Teilnehmer*in schreibt auf grünen Karten seine Kompetenzen auf bzw. das, was er der Gruppe bieten kann und auf rote Karten das, was er noch von der Gruppe braucht bzw. was er weniger gut kann und was folglich seine Ziele sind. Anschließend sucht sich jede*r Teilnehmer*in mind. eine andere Person aus, von der er oder sie glaubt, dass diese Person ihm oder ihr weiterhelfen kann.

Die Rahmenbedingungen (GLOBE)

  • Die Gruppe ist nicht entscheidungsfähig.

Praxisbeispiel: Ein Thema, das in Seminaren andauernd passiert: Die Teilnehmer*innen ärgern sich über Dinge, die sie nicht oder nur bedingt ändern können, bspw. den aktuellen Personalmangel. Die Lösung: Eine klare Unterscheidung zu treffen zwischen dem, was die Gruppe betrifft und dem, worauf sie selbst einen Einfluss hat. Am einfachsten ist beim Thema Personalmangel der Zusatz: „Umgang mit …“: Den Personalmangel können wir nicht beeinflussen. Den Umgang damit jedoch schon.

Jetzt kommt Struktur in die Moderation

Der etwas andere Moderationsworkshop

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In Zeiten stetiger Veränderungen und oft schwieriger Anpassungsprozesse – denken wir nur an den Umgang mit einer hohen Fluktuation, Unterbesetzung, Digitalisierung, usw. – stehen viele Organisationen und Teams vor der Herausforderung, eine Balance zu finden zwischen dem Druck, Ergebnisse zu liefern und Beteiligte ins Boot zu holen. Nimmt der Druck überhand, besteht die Gefahr, dass Einzelne in der Gruppe das Heft in die Hand nehmen, was oft manchen aus der restlichen Gruppe durchaus entgegen kommt. Gleichzeitig sind die Entscheidungen Einzelner logischerweise perspektivisch limitiert, wodurch sie zwar schnell, jedoch selten nachhaltig geraten. Zudem sinkt bei einer geringen Beteiligung die Verantwortungsübernahme der Unbeteiligten bei der Umsetzung des Beschlossenen. Gerade in Zeiten stetiger Veränderungen sollte es folglich kein Zugeständnis sein, alle Beteiligten mehr einzubeziehen, sondern ein Muss, um gemeinsam langfristig tragfähige Gruppenentscheidungen zu fällen. An dieser Stelle kommt die Moderation ins Spiel.

Eine gute Moderation setzt sich aus drei Bausteinen zusammen:

  1. Moderationshaltungen: Um Entscheidungen und Gruppenprozesse zu moderieren braucht es eine neugierige, ruhige und bisweilen auch beharrliche Haltung. Die Teilnehmer*innen sollten spüren, dass die Moderation jederzeit alles im Griff hat. Sie sollten das Vertrauen haben, alles äußern zu dürfen, auch wenn es zu Konflikten kommen könnte. Moderator*innen brauchen folglich eine Aura, dass sie nichts so leicht aus der Bahn werfen kann.
  2. Gesprächstechniken: Damit einher gehen geschickt eingesetzte Gesprächstechniken – insbesondere Fragen und rhetorische Mediationstechniken – sowie die Fähigkeit, gut zuzuhören aus.
  3. Moderationshandwerkszeug: Als Handwerkszeug betrachte ich alle Strukturen, Methoden oder Moderationstechniken, die Moderator*innen ein ideales Gerüst bieten, um auch bei schwierigen Themen klar und strukturiert vorwärts zu kommen. Dabei kann es sich um Ablaufpläne oder auch „nur“ um verschiedene Kategorien handeln, über die diskutiert wird. Die einfachste Struktur als Beispiel liefert uns die klassische Brainstorming-Regel: 1. Ideen sammeln und 2. Ideen bewerten.

Seminarinhalte des Moderationstrainings

Sich die eigenen Aufgaben und Rollen als Moderation bewusst machen

  • Wie sehen meine Aufgaben und Rollen als Moderator*in aus?
  • Wie schaffe ich den Spagat zwischen Ergebnisoffenheit der Moderation und organisatorischen Zwängen, bspw. aufgrund meiner Rolle als Führungskraft oder selbst Betroffene*r?
  • Wie strahle ich Souveränität und Sicherheit als Moderator*in aus, um die Akzeptanz und das Vertrauen der Teilnehmer*innen zu bekommen?
  • Wie schaffe ich es, möglichst alle Teilnehmer*innen mitzunehmen?
  • Wie gehe ich souverän mit Widerstand und schwierigen Teilnehmer*innen um?

Gesprächstechniken üben und anwenden

  • Mit welchen Fragetechniken lassen sich Teilnehmer*innen einbinden, Lösungen voranbringen und kreative Ideen herauskitzeln?
  • Mit welchen rhetorischen Gesprächstechniken lassen sich schwierige Situationen wertschätzend und souverän meistern?

Moderationshandwerkszeug gezielt einsetzen

  • Welche Strukturen und Methoden sind geeignet, um anstehende Aufgaben zielorientiert anzugehen, kreative Ideen zu generieren und Lösungen voranzubringen?
  • Mit welchen Strukturen und Methoden lassen sich Teambildungsprozesse voranbringen und Konflikte verhindern oder lösen?

Eingesetzte Methoden

Im Training wird das vorgestellte Handwerkszeug, soweit passend zu den Themen der Teilnehmer*innen, direkt angewandt. Es kommen – neben klassischen Kartenabfragen – insbesondere zum Einsatz: Dynamic Facilitation, Reflexions-Stern, Systemisches Konsensieren, Fischgrätendiagramm, Szenario-Technik, PMI (Plus-Minus-Interessant), 5-Finger-Feedback, U-Prozess, Kraftfeldanalyse, 4R-Methode, Systemische Fragetechniken, Themenzentrierte Interaktion (TZI)

Ihr Nutzen

In klassischen Moderationstrainings wird viel mit Kartenabfragen, Clustern und Punkten gearbeitet. Dabei stehen Moderationen oft unter dem (Zeit-)Druck, nachträglich Struktur in eine offene Kartenabfrage zu bringen, was kompliziert und langwierig sein kann. In diesem Training lernen Sie, wie Sie von Anfang an Struktur und Schnelligkeit in die Diskussion bringen, was allen Beteiligten zugute kommt, ob es sich um die Aufarbeitung von Fehlern, Entscheidungsprozesse, Veränderungsworkshops, Teambildungsprozesse, kreative Ideenfindungen oder Konflikte in kleinen oder großen Gruppen handelt.

Zielgruppe

Führungskräfte, Seminarleitungen, Projektleitungen oder Veränderungsbegleitungen

Dauer

Ein Inhouse-Training dauert 2-4 Tage bei einer Gruppengröße von maximal 12.