Generationen-Konflikte als System-Dilemma

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Stellen Sie sich ein kleines, mittelständisches Unternehmen in ländlicher Gegend vor. In den letzten 20 Jahren gab es nur wenig Fluktuation. Die etwa 30 Mitarbeiter*innen kannten und vertrauten sich. Nun kommt ein junger, dynamischer Mitarbeiter in einer verantwortungsvollen Position hinzu. Der neue Kollege studierte an einer Universität und besuchte zudem diverse Seminare über Rechtssicherheit. Er sieht die „Zustände“ in dem kleinen Unternehmen und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen:

  • Wie kann man nur wichtige Unterlagen bei Kundenverkehr so offen herumliegen lassen?
  • Übergaben müssen protokolliert und Listen geführt werden.
  • Und der Schlüssel für den Tresor darf ebenso nicht in die falschen Hände fallen.

Das wiederum ist in dem kleinen Unternehmen in vielen Fällen logistisch schlichtweg nicht möglich. Wenn Kollege A in Urlaub geht, ist Kollegin B – der ein Schlüssel direkt und ohne „Zwischenhändler“ übergeben werden sollte – nicht da, weil sie nur Teilzeit arbeitet. In anderen Fällen ist eine rechtssichere Vorgehensweise zumindest mit einem enormen Mehraufwand verbunden. Der neue Kollege rennt entsprechend gegen Wände. Er möchte es richtig(!) machen und das umsetzen, was er gelernt hat. Alle anderen jedoch sind genervt von dem Mehraufwand, der auf sie zukommt und versuchen den Kollegen entsprechend zu meiden. Er wiederum versteht nicht, wie wichtig „Small-Talk“ in kleinen Systemen ist, um etwas zu erreichen und findet daher keinen Draht zu der „alten“ Belegschaft. Wir haben es hier folglich nicht nur mit einem Konflikt zwischen ‚Vertrauen versus Recht‘ zu tun, sondern auch zwischen ‚Erfahrung versus Ausbildung‘ und ‚Soziales versus Fakten‘. Es kommt wie es kommen muss. Der Kollege beißt sich drei Jahre lang die Zähne aus und kündigt schließlich frustiert.

Wie wäre das zu verhindern gewesen?

  1. Klare Strukturen: Gewachsene Strukturen basieren in kleinen Unternehmen häufig auf vertrauensvollen Absprachen. Damit ist in Zeiten hoher Fluktuation jedoch kein Staat zu machen, weil das Vertrauen neuer Kolleg*innen in die Funktionalität des Systems noch nicht gegeben ist. Dieses Problem gab es schon immer, wurde jedoch durch die Zunahme rechtlicher und bürokratischer Regeln noch potenziert. Strukturen wie klare Stellen- und Aufgabenbeschreibungen, Verantwortlichkeiten, Prozesse und Abläufe verdeutlichen zumindest, dass nicht alles im System nach Gutdünken abläuft und verhandelt wird.
  2. Einarbeitung: Damit einher geht eine saubere Einarbeitungsphase, in der sowohl die Erfahrungen vermittelt, als auch Erwartungen ausgetauscht werden. Damit entsteht ein Raum, um ‚Erfahrungen versus Ausbildung‘, ‚Soziales versus Fakten‘ und ‚Vertrauen versus Recht‘ zu klären und Kompromisse anzubahnen. Bereits die Bewusstheit der Dilemmata hilft, um spätere Frustrationen zu vermeiden, weil neue Kolleg*innen dadurch genau wissen, was auf sie zukommt und sich entsprechend wappnen können.
  3. Richtlinienkompetenz: Im Falle von Unsicherheiten und Meinungsverschiedenheiten bis hin zu Konflikten braucht es klare Entscheidungen von oben, um die Mitarbeiter*innen nicht mit Ihrer Verantwortung alleine zu lassen. Ein Mitarbeiter, der alles richtig machen will, damit jedoch häufig aneckt, braucht entweder die Rückendeckung von seiner Führungskraft (bis hin zur Geschäftsleitung), dass die Umsetzung rechtlicher Vorgaben im Sinne des Unternehmens ist oder die klare Ansage, sich in das vorhandene System einzufügen, um die Sicherheit zu haben, bei einem Vorfall, der durch die Nicht-Umsetzung rechtlicher Vorgaben entstand, nicht selbst schuld zu sein.