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Die Sehnsucht nach Frieden

Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt uns, dass es auf der Welt noch nie eine erdumfassende Friedenszeit gab. Nach dem Kalten Krieg gab es wohl eine kurze Phase von 1-2 Jahren, in der wir einem umfassenden Frieden nahekamen. Dieser Traum wurde spätestens durch die Terrorakte von 9/11 jäh zerstört.

Im Zuge des Kampfes gegen das C wurde von einigen Nationen der Begriff des Krieges ins Spielfeld geworfen. Spannenderweise entwickelte sich dieser Krieg gegen ein unsichtbares Virus in rasender Geschwindigkeit zu einem Projekt, das weite Teile der Welt miteinander solidarisierte. Kubanische Ärzte halfen in Italien aus. Die Nato forderte eine Waffenruhe in Kriegen, zumal die gesamte Welt dank der Pandemie zum Krisengebiet erklärt wurde. Was braucht es da noch Schusswechsel? Und die Philanthropen aller Länder vereinigen sich zum gemeinsamen Kampf gegen das Böse. Die Bill und Melinda Gates Stiftung spendet wahnwitzige Summen zur Produktion eines Impfstoffes. Amazon übernimmt dankbarerweise die kulturelle Grundversorgung des Bürgers und der Bürgerin. Google unterstützt Faktenchecker auf der ganzen Welt mit 6,3 Millionen Euro. Youtube sortiert desinformierende Videos aus. Und Microsoft und Apple begraben ihr in die Jahre gekommenes Kriegsbeil, um gemeinsam an einer Tracking- oder Tracing-App zur Ortung von Erkrankten zu arbeiten. Geh‘ dahin, du alte Feindschaft.

Die WHO versucht es mit Koordinationsbotschaften aus der Ferne, was nicht in Gänze gelingt. Manche, wie die Schweden, scheren aus, werden zuerst verurteilt und später für ihren Sonderweg gelobt. Andere, wie die Bayern, werden ob ihrer übertriebenen Maßnahmen gerügt. Weder die Schließung der Grenzen noch die Masken in ihrer einfachen Baumwollform sind laut Pandemieplan der WHO empfohlen. Im Gegenteil: Wer eine Maske trägt, atmet sich in die Augen, diese jucken dann, worauf man sich mit den infizierten Händen in die Augen fassen muss. Aber sei’s drum. Vor Ort werden Gemeinschafts-Masken genäht, die sich nach und nach auf Bürgersteigen und Waldwegen wiederfinden. Überhaupt ist Solidarität das wichtigste im Kampf gegen den Feind. Mund zu, Augen zu und durch. Nur gemeinsam können wir es schaffen.

Wäre da nicht die verschrobene Seite der anderen? Die Rechten natürlich, die grundsätzlich gegen alles sind. Es ist erhellend, dass in manchen Ländern, beispielsweise Deutschland oder Österreich, rechtsgerichtete Parteien, gegen die Maßnahmen der Regierung sind, während eine Marine le Pen in Frankreich die Öffnung von Macron zu früh empfindet. Kann man das noch ernst nehmen?

Auch die Maßnahmen rechtsgerichteter Regierungen sind beileibe nicht einheitlich. Die einen geben den strengen Zuchtmeister, als hätten sie ein Land voller masochistischer Bürger. Den anderen kann es gar nicht schnell genug gehen mit Lockerungen.

Auf der Seite der Kritiker stehen jedoch auch Restaurantbesitzer, Kurzarbeiter, Existenzverlustige, Wissenschaftler, Ärzte, Familien, Rentner, Impfkritiker, usw. Bilder auf Demonstrationen zeigen einen Querschnitt der Gesellschaft, wie er natürlicher nicht sein könnte.

An dieser Stelle gilt die wichtige Trennung von Handlung und Motiv. Oder in einem Bild: Man sollte Ross und Reiter benennen. Der Reiter mag gegen die Maßnahmen schwadronieren. Es stellt sich jedoch die Frage, was ihn antreibt?

Es gibt Reiter, die diese bereits drohende oder vorhandene Spaltung der Gesellschaft noch voran treiben. Der Sinn eines „Draufhauens aus Prinzip“ ist offensichtlich das Chaos und die Revolution, um die Entfremdung vom Staat und den Vertrauensverlust in die Regierung zu nutzen und eine neue Ordnung herzustellen. Auch der Impuls, sich nichts von der EU, der WHO oder einer anderen internationalen Organisation sagen zu lassen, spielt sicherlich eine Rolle.

Es gibt jedoch auch Menschen, von denen wir es nicht gewohnt sind, dass sie auf die Straße gehen, zumindest nicht in Deutschland. Gegen Atomkraft vielleicht. Aber sonst? Wann haben zum letzten mal ganz normale Bürger demonstriert?

Aktuell wird viel von Egoismus und mangelnder Solidarität gesprochen. Ist es egoistisch, darüber zu trauern, dass alte Menschen in Pflegeheimen aus Einsamkeit sterben, weil sie nicht besucht werden dürfen? Darüber, dass 2,5 Millionen Menschen Herzprobleme, 7 Millionen Diabetes und 19 Millionen Probleme mit Bluthochdruck haben und aktuell nicht zum Arzt oder in die Klinik gehen? Oder darüber, dass auf den Hunger in der Welt oder unmenschliche Arbeitsbedingungen in Afrika, Südamerika oder Indien im Zuge des Cs nicht mehr geschaut wird?

So bunt wie die Gruppe an Kritikern ist, so vielfältig ist auch die Liste an Sorgen, Bedenken, Nöten und sicherlich auch ein paar egoistischen Wünschen. Beispielsweise dem egozentrischen Wunsch einer Mutter, die sich Sorgen darüber macht, dass ihre Kinder den Anschluss in der Schule verpassen und die Schwere der Bildungsungleichheit noch weiter auseinander geht. Genauso solidarisch und egoistisch sind auch die Wünsche der Gegenseite, basierend auf der Angst vor der ersten Welle.

Die Marginalisierung von Kritikern führte zu einer Extremisierung der Meinungen und einem Abdriften in Verschwörungstheorien. Wem nicht zugehört wird, der macht sich seinen eigenen Reim, mag er noch so verworren und krude sein. Hier wird oftmals behauptet, dass in unserem Land jeder das Recht hat, seine Meinung frei zu äußern. Dabei stellt sich jedoch die Frage, warum so viele Menschen, die bisher nicht als Quertreiber auffielen, dennoch der Meinung sind, dass deren Meinungsfreiheit beschränkt wird?

Wenn wir – je nach Umfragen, deren Ergebnisse schwanken und deren Validität oftmals fragwürdig ist – von einem Potential von mindestens 30% Kritikern ausgehen, sitzen wir aktuell auf einem gesellschaftlichen Pulverfass.

Während der Begriff des Krieges von Anfang an seltsam war, verwandelte er sich innerhalb weniger Wochen in eine Art friedlichen Bürger“krieg“, mit wenigen Ausnahmen. Hier sind Menschen, die den Weltfrieden nicht mitmachen wollen. Der „Krieg“ wurde damit zuerst in die heimischen Wohn-, Kinder- und Essenszimmer verlagert, und findet nun seinen Weg auf die Straße.

Es sind verschiedene Ansätze denkbar, mit diesem Pulverfass umzugehen. Was aktuell passiert, erinnert den Autor an die Dolchstoßlegende. Während die gesamte Welt in einer befremdlichen Einigkeit solidarisch gegen das Virus kämpft, stören die Querdenker das große Friedensprojekt. Dabei stellt sich die Frage, ob es sich eine Regierung leisten kann, eine Politik gegen 30% der Menschen im eigenen Land zu machen?

Was würde stattdessen passieren, wenn die Regierung Kritiker in die eigenen Reihen einladen würde, um damit die unzufriedenen Menschen aus der Schmuddelecke zu holen?

Was wäre, wenn diese bislang Unzufriedenen dann nicht mehr auf die Straße gehen müssten?

Vielleicht würden die Kritiker von ihrem Trotz ablassen und bereitwillig Masken aufsetzen – ob sinnvoll oder nicht – und damit anderen Menschen zeigen: „Ich sehe es anders, bin aber ein Teil von euch. Das ist kein Maulkorb, sondern ein echtes, kein erzwungenes Zeichen der Solidarität.“

Vielleicht hätten die Kritiker gute Ideen, um die Lockerungen sinnvoll durchzuführen.

Vielleicht würden Verschwörungstheorien im Nu an Zuspruch verlieren, weil es nicht mehr nötig ist, ihnen zu folgen, wenn die Menschen realisieren, dass ihnen zugehört wird.

Vielleicht könnte die Regierung damit Vertrauenspunkte bei den Menschen wieder gutmachen.

Vielleicht würden die Politiker daran wachsen, weil sie Schwäche in Stärke verwandeln, anstatt dem uralten Modell des Durchregierens in Krisenzeiten nachzueifern.

Vielleicht wäre jetzt die Zeit, sich gegenseitig zuzuhören. Weil wir alle recht haben, und gleichzeitig alle unrecht.

Mit Sicherheit gingen die Demonstrationen weiter, nur dieses mal mit den üblichen Verdächtigen, die niemand wirklich ernst nehmen muss.

Vielleicht würden wir damit die weltumspannende Einigkeit gefährden. Bald wäre Google wieder die alte Datenkrake, impfen darf, wer will und die WHO sagt, was wir tun sollen, woran sich ohnehin niemand hält. Wir hätten dann keinen Burgfrieden mehr, jedoch wenigstens einen Bürgerfrieden. Immerhin.

Um das zu erreichen, braucht es wohl ein Menschenbild, das ein wenig an die Zeit vor dem Sündenfall erinnert.

Im Kern geht es um das Vertrauen zueinander. Das Vertrauen in meine Mitmenschen. Das Vertrauen in den Staat. Und das Vertrauen des Staates in seine Bürger.

Wer da nicht sehnsüchtig wird …

Mit einer philosophischen Meditation durch die Krise

Es hat eine Weile gedauert, bis ich mich auf etwas zurück besann, dass ich in der Vergangenheit schon mehrmals anwandte, um in schwierigen Zeiten wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Vor etwa 10 Jahren stieß ich zum ersten mal auf die Kabbalah bzw. den Lebensbaum aus der jüdischen Mystik. Also Obacht! Jetzt wird es esoterisch. Aber schwierige Zeiten erfordern schwere Geschütze. Vielleicht hat mich die Kabbalah damals angezogen, weil in meinem Blut ein paar jüdische Milliliter fließen, großmütterlicherseits.

Die Kabbalah gilt für manche als eine Art Geheimlehre. Das hat weitgehend mit einer Zahlenmystik zu tun, die ich entweder nicht verstehe oder nicht mitgehen mag. Der Lebensbaum jedoch, aus der nordischen Mythologie als Yggdrasil bekannt, bietet mir anhand seiner zehn verschiedenen Ansatzpunkte und damit verbundenen persönlichen Fragen eine gute Orientierung in verwirrenden Zeiten.

Der Lebensbaum besteht aus drei verschiedenen Bereichen, unten einem körperlichen, in der Mitte einem psychisch-emotionalen und oben einem geistigen Bereich. In unterteile für diese kurze philosophische Gedankenreise die drei Bereiche in drei zeitliche Phasen mit zweimal drei und einmal vier Bereichen:

I. Die körperliche Phase

Derzeit befinden sich die meisten Menschen in der körperlichen Phase I. Hier sind wir mitten drin im Geschehen. Die vier Bereiche dort lauten:

  • Welche Bedürfnisse habe ich, z.B. Sicherheit oder Freiheit?
  • Welches Wissen habe ich, z.B. über das Virus, Fallzahlen zum Thema Kindeswohlgefährdung oder die Wirkungsweise von Handy-Tracing?
  • Daraus folgen konkrete Handlungen, z.B. dieser Artikel hier, der Besuch einer Demonstration, weitere Recherchen oder Diskussionen in Internetforen.
  • Aus dem Zusammenspiel dieser drei Bereiche entsteht unsere Identität und damit das Bild, das wir nach außen präsentieren, je nachdem wie wir uns wünschen, dass andere uns wahrnehmen. Vielleicht hätten wir gerne, dass andere Menschen uns für klug halten oder besonnen, auf der richtigen Seite stehend oder auch „sich nicht für dumm verkaufen lassend“. Unsere Identität ist nicht dasselbe wie unser Ich. Dazu jedoch später mehr.

II. Die psychisch-emotionale Phase

In der psychisch-emotionalen Phase II nähern wir uns unserem persönlichen Wesenskern, dieses mal im Rahmen dreier Bereiche. Während wir in Phase I irgendwann einmal damit beginnen, uns um uns selbst zu drehen, können wir hier neue Erkenntnisse über uns und unsere Mitmenschen gewinnen:

  • In der Kabbalah beschäftigt sich ein Punkt der drei psychisch-emotionalen Aspekte mit der Frage, woraus ich meine Stärke oder Kraft beziehe? Z.B. über die Verbundenheit mit anderen oder indem ich Abstand von der Thematik bekomme, Gartenarbeit betreibe oder ähnliches. Gleichzeitig stellt sich hier die Frage, womit ich Geduld haben bzw. was ich aushalten sollte? Vielleicht muss ich es aushalten, dass sich die Meinungen der Politiker oder Wissenschaftler täglich verändern, dass das Verfassungsgericht nicht auf jede Anfrage sofort reagieren kann oder dass es Mitmenschen gibt, die sich nicht informieren, überinformiert sind oder als Experten aufspielen?
  • Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, was ich meinem Umfeld gütig geben kann? Wie ich anderen Menschen Hoffnung gebe, sie solidarisch unterstütze oder das Auseinanderdriften von Familien und Freundschaften verhindere?
  • Die beiden Aspekte der gebenden Güte und geduldigen Stärke sollten in einer guten Balance liegen, um zum letzten Punkt dieses Triumvirats zu kommen, unserem persönlichen Wesenskern, verbunden mit der Frage, was mich als Mensch, mein Ich, im Wesentlichen ausmacht? Vielleicht sind es tatsächlich Geduld und Ausgeglichenheit, vielleicht auch Zähigkeit, Wissensdurst oder Humor? Es soll ja Menschen geben, die liebend gerne andere provozieren.
  • Unser Ich sollte wiederum mit der Identität aus Phase I abgeglichen werden, um sich darüber klar zu werden, ob ich das, was ich anderen von mir präsentiere auch tatsächlich innerlich spüre, ob ich also mit mir selbst im Reinen bin.

III. Die geistige Phase

In Phase III geht es in geistige Höhen. Hier beschäftige ich mich mit Erkenntnissen und Weisheiten, die weit über die Krise hinausgehen:

  • Als erstes stelle ich mir die Frage, welche persönlichen Erkenntnisse ich aus der Krise ziehe. Ein Beispiel: Ich erkenne, dass ich für Verschwörungstheorien (oder zu leichter Staatsgläubigkeit) anfällig bin und am meisten Kraft aus den Bestätigungen anderer ziehe. Gleichzeitig erkenne ich, dass mich das Wissen aus dem jeweils anderen Lager ärgert oder sogar verunsichert. Was also tun? Streiten, mich der Unsicherheit ausliefern oder in meiner Stärke bleiben?
  • Aus dieser Erkenntnis lassen sich persönliche Weisheiten ziehen. Vielleicht besteht die wahre Herausforderung im Umgang mit unseren Mitmenschen nicht darin, andere von unserer Meinung zu überzeugen, sondern zu akzeptieren, dass wir in Wahrheit viel wissen, jedoch kaum wissen, welche Bedeutung unser Wissen hat. Damit könnte eine Weisheit lauten: Umarme dein Nichtwissen, denn das einzige, was wir wirklich und wahrhaftig wissen, ist nicht zu wissen, wie das hier alles ausgeht, egal, welchen Weg wir nehmen. Und dennoch müssen wir uns vor dem Hintergrund unserer aller Fehlbarkeit eine Meinung bilden, so wie Politiker aufgrund deren Meinung eine Entscheidung treffen. Wir entscheiden uns also (temporär) für eine Seite, andererseits würde es uns psychisch entzweien, im gleichzeitigen Wissen, dass wir falsch liegen können.
  • Im letzten Punkt, der Krone in der Kabbalah, stellt sich die Frage, was uns alle miteinander eint? Mit Sicherheit gibt es ein paar böswillige Zündler. Für den Rest gilt: Niemand will sich beleidigen lassen. Niemand von uns will Morddrohungen bekommen. Wir wollen alle gehört, wahr- und ernstgenommen werden. Wir sind alle Menschen auf der Suche nach einem Sinn.

Die egoistische Angst

Derzeit geht die Angst um. Sie wird oftmals als sozial gedeutet. Wir tragen nun Gemeinschafts-Masken als Zeichen der Solidarität. Manche finden das gemein. Die selbstgenähten Masken bringen laut der WHO gar nichts, dienen jedoch der Verbrüderung und Verschwesterung der Menschen. Da ist es schon eine Unverschämtheit, dass gerade die alten Menschen dies oft nicht verstehen oder nicht wirklich wertschätzen.

Wie sozial ist die Angst jedoch in Wirklichkeit?

Angst ist zuerst einmal ein egoistisches Gefühl. Ein Gefühl, dass uns vor direkt erlebbaren Gefahren warnt. Ein Gefühl, das uns sagt: Bereite dich besser auf diese Prüfung vor, sprich noch mal mit deinen Eltern, bevor es zu spät ist oder fahr nicht zu schnell um die Kurve. Angst lässt sich mit der Befürchtung verbinden, etwas zu verlieren. Unser Bild in der Öffentlichkeit, unsere Eltern, unser Leben. Wenn wir uns freuen, bereiten wir uns auf etwas vor. Wenn wir trauern, ist der Fall abgeschlossen. Zwischendrin ist die Angst. Sie hofft noch, sie bangt, zittert und ist unsicher.

Was also könnten wir verlieren? Tatsächlich oder nur imaginiert. Die Gemeinschaft beispielsweise. Wir sind Herdentiere. Ist es nicht schön, zu wissen wo man und frau hingehört. Diese Sichtweise lässt sich drehen und wenden wie man oder frau will. Sie stimmt immer. Gehen wir ein wenig ins Detail, lassen sich auch hier wieder die üblichen Gruppenbildungen ausmachen: Dort sind die Impfgegner, dort die Kapitalisten, die Egoisten, die Solidarischen, die ewigen Nörgler, die Zündler, die Nazis, die Helden des Alltags, die Philanthropen, die Kriegsgewinnler, usw. Gerade in der Krise scheint es den tiefen menschlichen Impuls zu geben, zu wissen, dass man auf der richtigen Seite steht und vor allem nicht alleine ist. Damit tauchen zwangsläufig alte Gewissheiten auf, die meistens mit dem Satz beginnen: Das ist ja mal wieder typisch, …

Wir könnten auch Angst um die eigenen Freiheiten haben. Ich höre oder lese in letzter Zeit häufig den Satz:“Wenn wir das jetzt nicht machen, wird es noch viel schlimmer und dann sperren sie uns weg wie in Frankreich.“ Oder:“Weil du dich so unsozial verhältst und auf eine Demo gehst, werden die Maßnahmen verlängert oder ausgeweitet.“ Das ist interessant, zeigt es doch den egoistischen Ansatz der Angst als Verteidigungshaltung nach außen. Ich könnte meine Freiheit verlieren, wegen dir. Vielleicht empfindet jeder von diesen Menschen auch die soziale Angst, einen lieben Freund an das C zu verlieren. Es ist jedoch meist der Egoismus, der in Diskussionen in wütende Beschimpfungen umschlägt.

Ein Mensch, der gegen die Beschneidung des Rechtsstaats demonstriert, hat auch Angst. Er hat sicherlich auch eine egoistische Angst. Er will vielleicht nicht zwangsgeimpft werden oder kämpft für sein Recht auf Berufsausübung. Es gibt kaum ein Wort, das so brutal wiederspiegelt, wie wichtig oder unwichtig ein Mensch für die Gesellschaft ist wie der Begriff der Systemrelevanz. Während uns die Medizin am Leben hält, hält uns die Kunst bei Verstand. An einem Gedankenspiel verdeutlicht: Können wir uns ein Leben ohne Musik, Bücher oder Filme überhaupt vorstellen? Wieviel ist unser Leben noch wert, wenn wir zwar mit medizinischen Mitteln am Leben gehalten und zudem weggesperrt werden, jedoch keine kulturelle Freude mehr erleben dürfen?

Doch zurück zu den egoistischen Demonstranten. Wohnt dem Einstehen für unsere Grundrechte nicht etwas zutiefst Soziales inne? Einige gehen sicherlich aus Spaß am Krawall auf die Straße. Andere machen sich ernsthafte Sorgen darüber, in was für einem Land ihre Kinder und die Kinder aller anderen Menschen einmal leben werden.

Meist kommt dann der Einwand, dass kurze Beschneidungen des Alltags in Kauf genommen werden müssen, um Leben zu retten. Was ist jedoch bei der nächsten Pandemie oder der nächsten Grippewelle? Bei einer Grippe sterben jährlich bis zu 25.000 Menschen in Deutschland. Wäre es nicht sinnvoll, auch hier einen Ticker im Internet mitlaufen zu lassen, damit wir wissen, wo, wie und wann wir uns wahrscheinlich anstecken werden? Und was wir dagegen tun sollten. Klingt ein wenig nach: Und täglich grüßt das Murmeltier … Nur nicht so lustig.

Rette sich wer kann

„Ich möchte mich nicht hinstellen und die Entscheidung getroffen haben, wenn in einem Monat in Deutschland 10.000de Menschen sterben.“ Eine Aussage, die aktuell häufig zu lesen ist.

Es ist derzeit erschreckend klar verfolgbar, was in der Entscheidungsfindung schon lange bekannt ist. Der Mensch – und Politiker sind auch Menschen – tendiert zu defensiven Entscheidungen. Er möchte Leiden verhindern anstatt Leiden zufügen.

Die Entscheidung, alte Menschen in den Tod hinüber zu beatmen und dabei laut Palliativmedizinern etwa 10% davon zu retten, auch wenn sie davon mit einer hohen Wahrscheinlichkeit einen Hirnschaden davon tragen, gleicht einer solchen defensiven Entscheidung. Dieses Muster war in den ersten Wochen der Krise deutlich erkennbar und ist ja immer noch aktuell. Die Logik ist nicht neu. Ärzte tun, was sie dank dem hippokratischen Eid schon immer taten: Sie retten Leben. Während jedoch früher die Grenze zwischen Leben und Tod klar gezeichnet schien, haben sich die medizinischen Apparate dergleichen weiterentwickelt, dass die Grenze, wann der Tod beginnt und das Leben aufhört immer unklarer wird.

All die depressiven Menschen in Altenheimen, die Kindeswohlgefährdungen, die misshandelten Frauen und bankrotten Geschäftsmenschen waren damals noch nicht sichtbar. Wer seine Wahrnehmung öffnete, konnte sie antizipieren. Damals waren jedoch die Toten aus Bergamo noch zu präsent. Rette Leben! Und verdränge die Kollateralschäden!

Die Toten blieben aus. Die Kliniken sind leer. Nun hat sich die Wahrnehmung verschoben. Die Leiden der anderen werden sichtbar. Die Szenarien des Ethikrates und anderer Mahner bekommen ein Gesicht. Zum Beispiel das Gesicht trauriger alter Menschen in Pflegeheimen.

Nun geht es erneut darum, defensiv zu entscheiden und Leid zu verhindern.

Gut, dass wir das nicht entscheiden müssen, sagen sich die Menschen. Dafür sind schließlich Politiker zuständig. Gut, dass wir das nicht entscheiden müssen, sagen sich die Politiker. Dafür haben wir schließlich unsere Wissenschaftler. Gut, dass wir das nicht entscheiden müssen, sagen sich die Wissenschaftler. Dafür … verdammt noch eins, wenn Wissenschaftler jetzt mit Gott kommen, dann stimmt hier was nicht. Gott wiederum spricht: Leute, vertraut auf die Evolution und alles wird gut.

In diesem Sinne: Rette sich, wer kann!

Die Angst vor dem Tod

Wenn es um das große C geht, kommt meist auch die Angst ins Spiel. Die Angst um liebe Menschen, die sterben könnten. Dies wirkt auf den ersten Blick mitfühlend und mitmenschlich. Nur: Wie sozial ist diese Angst in Wirklichkeit?

Nehmen wir den Tod. Wer leidet in einem Todesfall am meisten? Der Tote kann leiden, wenn sich sein Sterben im Falle einer zweiwöchigen, laut Palliativmedizinern unwürdigen Beatmungs- und Sterbeverlängerungspraxis, dahinzieht. Anstatt echter Menschen geleiten uns Maschinen in die ewigen Jagdgründe hinüber. Unseres Fortschrittsglaubens sei Dank. Schläft er sanft im Kreise seiner Liebsten ein, leidet er vermutlich weniger.

Zurück bleiben die Angehörigen, die im schlimmsten Fall für den Rest ihres Lebens trauern. Vielleicht machen sie sich sogar Vorwürfe, für den geliebten Menschen nicht genügend da gewesen zu sein oder wichtige Momente im Miteinander Leben verpasst zu haben. Derjenige, der zurück bleibt, leidet immer mehr als der, der geht.

Das mag banal klingen, bedeutet jedoch in der Konsequenz, dass wir an einer Beerdigung nicht um den Toten trauern, sondern um uns. Wir beweinen uns selbst. Wir sind es, die mit einem Verlust klar kommen müssen. Tote vergießen keine Tränen.

Aktuell wird das Leiden der Depressiven, Suizidalen, Gekündigten oder Bankrotten mit der Rettung v.a. alter Menschen in Kauf genommen. Es heißt, das Leben der anderen geht schließlich weiter. Nur: Diese Menschen leiden aktuell wirklich. Sie sind noch nicht tot. Damit stellt sich die essentielle Frage, wie wir grundsätzlich mit dem Tod umgehen wollen und wie wichtig wir das Leben selbst nehmen? Wer sein Leben in vollen Zügen genoss, kann mit dem Tod zufrieden abschließen. Jetzt ist die nächste Generation dran. Leben wir oder haben wir Angst davor, zu sterben?

Es heißt, die Wirtschaft müsse nun im Angesicht des Todes zurückstecken. Nur: Die Wirtschaft bedeutet neben all dem Schlimmen auch zu leben. Sie bedeutet Kultur, Lebendigkeit, Freude, Spaß und Austausch. Hinter der Wirtschaft stecken Millionen von Individuen. Der Herr Adidas wird vermutlich weniger an der Krise leiden als die Frau Meyer im Schuhladen um die Ecke.

Sind wir aufgrund unserer Angst vor dem Tod so todesfixiert, dass wir dabei vergessen, zu leben? Und könnte diese Angst vor Ableben anderer sogar ein Symbol unserer eigenen Angst vor dem Tod sein, der sich dank medizinischer Fortschritte weit hinauszögern lässt? Mit Impfstoffen und sonstigen Medikamenten. Es ist in dieser Debatte um den richtigen Weg erhellend, dass viele alte Menschen dies gar nicht wollen. Sie wollen nicht beatmet werden. Eine Impfung könnte sie umbringen. Sie haben Krebs oder eine Lungenentzündung und wollen in Ruhe sterben. Nicht mit Ärzten und Pflegepersonal in sterilen Anzügen an ihrer Seite, sondern mit Menschen, die sie kennen und lieben, unsteril in Fleisch und Blut. Mit Berührungen und Nähe. Und mit all der Trauer, die bei einer solchen Begleitung dazu gehört.