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Die 5 Räume des Zuhörens

In meinen Seminaren leite ich regelmäßig Übungen für Führungskräfte zum richtigen Zuhören an. Wenn ich meine Teilnehmer*innen frage, ob sie gut zuhören können, sagen die meisten “Ja, natürlich”. In der Praxis zeigt sich allerdings, dass ein richtiges, tiefergehendes Zuhören gar nicht so einfach ist und zum einen durch die eigenen Ideen und zum anderen durch den Zeitdruck immer wieder konterkariert wird.

Aus diesem Gedanken heraus entstanden die 5 Räume des Zuhörens. Stellen Sie sich dazu vor, jemand möchte Ihnen etwas erzählen, Sie laden ihn oder sie als Gastgeber*in in Ihr Haus ein und gehen mit dieser Person gemeinsam durch 5 Räume.

Als erstes erfolgt die Begrüßung an der Haustür und damit die Klärung, worum es in dem Gespräch gehen soll. Das ist logischerweise oberflächlich und dient lediglich der ersten Einordnung des Anliegens Ihres Gastes.

Als nächstes bitten Sie Ihren Gast in Ihr Arbeitszimmer. Nun geht es darum zu klären, was passiert ist. Jetzt geht um die Fakten. Vielleicht müssen Sie auch noch etwas recherchieren, um die Faktenlage besser einordnen zu können.

Nachdem der Status Quo der Fakten geklärt wurde, darf es ein wenig gemütlicher werden. Dazu passt am besten das Wohnzimmer. Hier sitzen Sie gemeinsam bei einem Tee oder einem Glas Wein zusammen. Das Gespräch wird langsamer und bekommt eine emotionale Tiefe.

Nachdem Sie nun nicht nur wissen, worum es geht, sondern auch, welche persönliche Bedeutung dieses Thema für Ihr Gegenüber hat, bitten Sie ihn oder sie auf den Balkon oder eine Terasse. Dort genießen Sie den Ausblick und reflektieren gemeinsam, wo es mit diesem Thema hingehen soll. Nun geht es also um einen Zukunftsblick.

Zum Abschluss – und nach all dem “Gerede” – sind sie sicherlich hungrig geworden und gehen in die Küche, um Ihrem Gast einen Happen zu essen anzubieten. Essen wiederum ist nicht nur ein Geschenk an andere, sondern schafft auch durch das gemeinsame Essen Verbindungen. Nun geht es also darum auszuloten, welche Erwartungen Ihr Gegenüber hat und wie sie ihm oder ihr helfen können.

Hier noch einmal die 5 Räume im Überblick:

  1. Einordnung (Haustür): Um was geht es, damit ich es einordnen kann? Kenn’ ich. Erinnert mich an …
  2. Faktisches Zuhören (Arbeitszimmer): Was genau hast du gemacht? Was hat funktioniert? Was nicht? Auf der Basis welchen Wissens?
  3. Empathisches Zuhören (Wohnzimmer): Wie ging es dir damit? Was an der Situation ist für dich besonders … (anstrengend, belastend, herausfordernd, spannend, unverständlich, …)?
  4. Zukunftsorientiertes Zuhören (Balkon mit Fernblick): Was sollte passieren? Wann würde es dir besser gehen? Wann wärst du zufrieden / stolz / erleichtert? Wann hättest du das Gefühl, das die Situation gelöst wäre?
  5. Verbindendes Zuhören (Küche): Was würde dir helfen? Was erwartest du von mir? Wie kann ich dich unterstützen?

Ur-Empathie

Als ich gestern im Zug einem älteren Ehepaar beim Umsteigen half, hatte ich einen mittelgroßen Geistesblitz. Sie war 79 Jahre, er mindestens genau so alt. Sie kamen aus den USA, stiegen in Frankfurt in “meinen” ICE ein und wollten nach Fürth. Da die ältere Dame mit jedem vor den Toiletten ein Gespräch begann, der nicht schnell genug das Weite fand, war es nur eine Frage der Zeit, bis wir uns unterhielten. 1956 emigrierte sie in die USA. Nun wollte sie wahrscheinlich zum letzen mal Verwandte und Bekannte in Fürth / Zirndorf besuchen. Angespannt war sie. Hypernervös. Ihre Sprache pendelte mit jedem Satzwechsel zwischen deutsch und englisch. So nervös, dass ich ihr mehrmals sagen musste, dass ich auch in Fürth lebe. Ein aufgewühlter, rühriger, intelligenter, sehr sympathischer Mensch.

Beim gemeinsamen Umsteigen blitze es durch mein Gehirn. Langsam. Zum mitdenken. Sanft. Zum mitfühlen. Aber deutlich. Ur-Empathie. Vor mir standen meine Ur-Eltern, meine Ur-Mutter, mein Ur-Vater, der Vater aller Väter, die Mutter aller Mütter. Das hier waren keine fremden Personen, sondern Menschen, die ich kenne, die ich schon immer kannte. Menschen, die sich auf eine Reise machten. Menschen, die ich in dieser Stunde, in der wir uns unterhielten, liebend gerne näher kennenlernte. Meine eigene Mutter könnte hier stehen und zum letzten mal nach Polen reisen. Mein Vater könnte hier stehen und sich von einem fremden Menschen in einer fremden Stadt den Weg erklären lassen. So wie wir alle manchmal in unserem Leben an einem fremden Punkt stehen, an dem eine helfende Hand hilfreich wäre. Wir sehen solche Menschen andauernd, wenn wir durch die Stadt laufen. Wir könnten unsere Hilfe anbieten und warten doch, bis wir gefragt werden. Blöde eigentlich.

Das brachte mich zum Nachdenken. Denn schließlich gibt es noch so viel mehr Ur-Menschen um uns herum. Es gibt Ur-Kinder, Ur-Töchter und Ur-Söhne. Ur-Schwestern und Ur-Brüder. Dann dachte ich an die aktuelle Sexismus-Debatte. Wie wäre es, wenn wir von diesem unsäglichen Mann-Frau-Denken wegkämen und wir Männer Frauen als Ur-Schwestern ansehen könnten? Ur-Schwestern, bei denen ich nur will, dass sie sich in meiner Gegenwart wohl fühlen. Mit denen ich zusammen Spaß haben und kreative Ideen entwickeln will. Die große Schwester, von der ich noch etwas lernen kann. Die kleine Schwester, Ur-Tochter und Ur-Sohn, die ich vielleicht als archetypischer Helden-Mann beschützen möchte, auch wenn ich weiß, dass sie ihren eigenen Weg gehen müssen.

Meiner Frau mache ich gerne Komplimente. Auch anderen Frauen. Dein Lippenstift passt perfekt zu deinem Kleid. Ich mag dein Strahlen, dein Lächeln, diese Energie, die du mitbringst. Ich mag es, wie du dich kümmerst, engagierst, an Sachen denkst, die ich vergesse. Wie du deine Freiräume nutzt. Ich mag es, wenn du kämpfst. Wenn du fiese Sprüche bringst. Ich mag den Schlagabtausch mit dir. Bitte selber weiterspinnen. Meiner Frau sage ich das als Mann. Anderen Frauen sage ich das als Bruder. Vielleicht täusche ich mich, aber ich hatte bisher äußerst selten das Gefühl, dass es nicht erlaubt wäre, in einer Art charmanten Direktheit das zu sagen, was ich denke. Ich selber höre ja auch gerne Komplimente von einer Ur-Schwester. Den Unterschied, und daran scheiden sich die Geister, macht die Haltung aus. Vielleicht brauchen wir weniger männliche und mehr brüderliche Komplimente, um den Sexismus hinter uns zu lassen.