Bild von Freepik
Wie einfach ist es, sich zu verändern? Diese Frage stellt sich umso mehr, je schneller sich die Welt um uns herum dreht. Ist es dann eher gut, so zu bleiben, wie wir sind – als Fels in der Brandung? Oder wäre es angebracht, sich weiter zu entwickeln?
Auf einer ganz praktischen Ebene stellt sich diese Frage in meinen Führungstrainings, wenn Teilnehmer*innen sagen: „Das klingt ja ganz gut, was Sie da sagen. Aber in der Praxis ist das nicht möglich.“ Und eigentlich meinen sie: „So einfach ist das alles nicht. Ich bin nun mal … (eher zupackend, zurückhaltend, usw.).“ Oder:“Ich bin eben kein Macher-Typ.“
In persönlichen Veränderungen haben wir es folglich immer mit mindestens zwei Ebenen zu tun:
- Wir nehmen etwas wahr, das wir tun könnten, anders machen könnten, usw.
- Wir nehmen wahr, was wir wahrnehmen und bewerten das Wahrgenommene.
In unserem Gehirn sitzt also ein kleiner Homunculus, ein kleines Menschlein, das uns beim Wahrnehmen beobachtet und entscheidet, was mit den neuen Informationen anzufangen ist. Diesen kleinen Menschen in uns drin können wir als unser Selbst bezeichnen. Dieses Selbst wiederum ist schwer zu (be)greifen. Wie auch? Besteht es doch aus unseren tiefsten, meist unbewussten Prägungen, die bis weit in unsere Kindheit zurückgehen. In meinen Konfliktmanagement-Seminaren frage ich manchmal zu Beginn ab, in wessen Familien offen diskutiert und gestritten wurde und bei wem nicht. Die Erkenntnisse dieser Mini-Umfrage decken sich meist ziemlich genau mit der Frage, wer eher offen und unerschrocken und wer eher zurückhaltend in Konfliktgespräche geht. Aus solchen und vielen weiteren Erfahrungssituationen unseres Lebens entsteht nach und nach unser Selbst. Unser Selbst könnte mutig, neugierig, (un)geduldig, aufbrausend, ausdauernd, selbstreflexiv, willensstark, aushaltend, gütig, streng, vertrauend, skeptisch, usw. sein.
An dieses Unbewusste kommen wir heran, wenn wir eine Liste zusammen stellen aus Satzanfängen wie:
- Ich bin eben ein Mensch (Typ), der …
- Oder: Ich bin nicht ein Mensch (Typ), der …
Diese Satzanfänge lassen sich mit verschiedenen Rollen ausweiten, die wir im Leben einnehmen: Mann, Frau, Kolleg*in, Freund*in, Vater, Mutter, Führungskraft, usw.
Aber Vorsicht! Bei den Rollen vermischt sich die eigene Sicht mit Erwünschtheiten. Deshalb ist es wichtig, klar zwischen der eigenen Sichtweise und fremden Erwartungen zu trennen, um herauszufinden, worin das Eigene besteht.
Was bin ich also für ein Mensch? Was bin ich für eine Führungskraft? Und wie kann ich mich verändern? Dazu möchte ich Ihnen ein Programm aus drei Schritten anbieten:
Schritt 1: Inventur
Als erstes brauchen wir eine Inventur der oft unbewussten inneren Selbstaussagen:
- Ich könnte ein Mensch sein, der lange Diskussionen nicht aushält.
- Ich könnte jemand sein, die es meist sehr genau nimmt, auch bei der Vorbereitung eines Sommerfests.
- Ich könnte ein Mensch sein, der sehr gut und geduldig zuhören kann (oder auch nicht).
- Ich könnte jemand sein, der sich von der Enttäuschung eines Mitarbeiters leicht mitreißen lässt. Oder, der sich im Gegenteil gut abgrenzen kann.
- Ich könnte auch sehr kritisch gegenüber Neuerungen sein. Oder stattdessen schnell zu begeistern sein.
- Es könnte mir leicht (oder schwer) fallen, Entscheidungen durchzuboxen.
Schritt 2: Einordnung des Inventars
Als zweites ist es wichtig, unser Inventar zu sortieren. Folgende Kategorien sind dazu hilfreich:
- Ich bin zufrieden. Ich kann so bleiben, weil ich damit Erfolg habe.
- Ich bin unzufrieden. Ich sollte mich verändern, weil ich damit keinen Erfolg habe und mir das Leben (oder meine Arbeit) erschwere.
- Ich bin selbstzufrieden. Denn insgeheim könnte es sein, dass ich nur zu bequem bin, um mich zu verändern.
Nehmen wir zur Verdeutlichung folgende Aussage: Ich bin nunmal ein Macher-Typ, der bei langen Diskussionen im Team ungeduldig wird und dann ein Machtwort spricht. Ich bin zufrieden. Die Diskussionen bei uns ufern nicht aus. Die Leute respektieren mich als starken Chef-Typen. Es ist jedoch auch so, dass kaum jemand von sich aus zu mir mit Problemen kommt. Zudem entstanden Diskussionen in letzter Zeit oft gar nicht mehr. Die Stimmung im Team ist extrem sachlich und produktiv. Emotionales gehört auch nicht unbedingt in die Arbeit. Dennoch merke ich, dass im Zuge der aktuellen Dauerbelastungen ein anderer Führungsstil (Stichwort: karitativ) manchmal sinnvoll wäre.
Im Grunde ist diese Führungskraft also mit sich zufrieden. Und dennoch ist da ein Funke Unzufriedenheit, der ihr suggeriert, dass sie ein wenig zu selbstzufrieden ist. Sie ist also wortwörtlich mit sich bzw. ihrem Selbst zufrieden. Wenn ich das erkenne, ist es der perfekte Zeitpunkt, an mir zu arbeiten bzw. mein Selbstkonzept zu überdenken.
Schritt 3: Weiterentwicklung
Wie jedoch geht das, das eigene Selbst zu überdenken?
Zuerst einmal ist es wichtig, das eigene Selbst zu wertschätzen: Da ist eine Macherin, ein Empath, ein Mutiger, eine Neugierige, usw. All das ist erst einmal idR. gut und hilfreich. Wir sind jedoch nicht nur ein mutiger Typ, sondern auch ein mutiger Typ. Es geht also um Differenzierung anstatt Ausschluss. Ich bspw. trete als Trainer als Experte auf, höre als Coach und Liebhaber gut zu, treffe als Vater Entscheidungen, v.a. als meine Kinder noch kleiner waren, usw. All das sind Teile meiner selbst. Die Frage ist nur, wann bin ich wer? In welchen Situationen ist welcher Selbst-Anteil von mir sinnvoll? Auch hier spielt wieder die bereits erwähnte Vermischung von Selbstkonzept und Rollen mit hinein.
Zum zweiten stellt sich die etwas kompliziertere Frage, warum mir ein Teil meiner selbst wichtig erscheint. Warum halte ich Diskussionen nicht aus bzw. warum „muss“ etwas in mir nach maximal 10 Minuten ein Machtwort sprechen?
Zur tieferen Beschäftigung mit den Hintergründen von meinem Selbst ist die Warum-Methode aus dem japanischen Lean-Management hilfreich. Im Ursprung lautete die Anleitung dazu: Frage dich 5 mal „Warum“, bevor du eine Entscheidung triffst. Analog dazu könnte die Anleitung hier lauten: Frage dich 5 mal Warum, um zu erkennen, wer du wirklich bist und was dir wichtig ist:
- Warum halte ich Diskussionen nicht aus?
- Weil wir sonst nicht mir der Arbeit weiter kommen.
- Warum ist es mir wichtig, mit der Arbeit voran zu kommen?
- Weil es in meiner Verantwortung als Chef liegt.
- Warum ist mir Verantwortungsübernahme wichtig?
- Weil ich dann das Gefühl habe, „alles“ im Griff zu haben?
- Warum ist es mir wichtig, alles im Griff zu haben?
- Weil sich das sicherer anfühlt. Ich weiß dann, was als nächstes zu tun ist.
- Warum ist es mir wichtig, zu wissen, was als nächstes zu tun ist?
- Weil ich mich ungern auf Unwegbarkeiten einstelle.
Manchmal braucht es mehr als 5 Runden, manchmal weniger. Fakt ist jedoch: Wir stellen unser Selbst bzw. uns selbst infrage, werfen dadurch ein Licht auf Stellen, die wir ansonsten ungern beleuchten und sind durch diese Bewusstmachung in der Lage, an uns zu arbeiten und uns weiter zu entwickeln. Es geht nun nicht mehr darum, Diskussionen per se laufen zu lassen. Es kann durchaus sinnvoll sein, an der ein oder anderen Stelle ein Machtwort zu sprechen. Es geht vielmehr darum, für sich selbst zu klären, wie ich besser mit Unwegbarkeiten umgehen kann bzw. den daraus resultierenden Kontrollverlust besser aushalte. Bereits diese Selbst-Erkenntnis ist ein erster, essentieller Schritt in Richtung Veränderung.