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Stimmungsbarometer 03/2022

Seit Ende Januar bekomme ich wöchentlich mindestens zwei Anfragen für neue Aufträge, teils von „alten“, teils von neuen Kunden. Zeit, genauer hinzusehen, woran das liegt und was das für Trainer*innen bedeutet.

Aufgeschobene Investitionen

Viele Unternehmen schoben beinahe zwei Jahre lang Personalentwicklungsmaßnahmen mehr oder weniger auf. Zum einen aufgrund der pandemischen Lage. Manche Maßnahmen fanden online statt. Manche fielen aus. Zudem hatten viele Menschen den Kopf nicht frei für Weiterbildungen. Das ändert sich aktuell. Der 20. März 2022 soll zwar kein „Freedom Day“ werden. Dennoch ist deutlich zu spüren, dass sich aktuell der Weiterbildungsknoten nach und nach lockert.

Online-Müdigkeit

Die Evaluationen zu Online-Trainings sind eindeutig: Besser als nichts und manchmal besser als erwartet (siehe https://www.m-huebler.de/hybridseminare). Dennoch dürsten die Menschen nach Nähe, Austausch, Vernetzung und der Spontaneität, die nur ein Präsenz-Training bieten kann.

Hoher Bedarf zum Thema „Zusammenarbeit auf Distanz“

Derzeit biete ich monatlich 2-3 Trainings zum Thema Führung auf Distanz an. Offensichtlich gibt es hier einiges an Nachholbedarf. Nachdem zwei Jahre lang mehr oder weniger reaktiv gearbeitet wurde, ist nun die Zeit gekommen, zurückzublicken, die letzten beiden Jahre der Zusammenarbeit zu reflektieren und aktiv weiterzuentwickeln (siehe https://www.audible.de/pd/Zusammenarbeit-im-Home-Office-Hoerbuch/B095X7WQ3C? oder https://bookboon.com/de/fuhren-auf-distanz-ebook oder https://www.udemy.com/course/fuhrung-auf-distanz-remote-leadership) (Externe Links)

Neue Themen: Diversity, Inklusion und Chancengleichheit

In den letzten beiden Jahren hat sich die Welt extrem weiter entwickelt. Auf Distanz entstanden neue, auch internationale Kooperationen. Offensichtlich spülte die Krise auch andere krisenhafte Themen an die Oberfläche: Neben den Themen Vernetzung und digitale Kompetenzen spielen die Themen Gleichberechtigung, Chancengleichheit, Diversität, Inklusion und interkulturelle Zusammenarbeit eine wichtigere Rolle als vor der Pandemie. Entsprechend verändert sich auch das Portfolio von Personalentwicklungen.

Fazit: Es liegt eine Wechselstimmung in der Luft

Es liegt eine deutliche Wechselstimmung in der Luft. Trainer*innen sollten sich hierauf einstellen. Wer meint, mit den alten Programmen wieder Fuß fassen zu können, wird sich evtl. wundern. Stattdessen gilt auch für Trainer*innen eine deutliche Neupositionierung:

  • Zusammenarbeit auf Distanz: Trainer*innen sollten sich mit den Grundlagen einer Führung und Zusammenarbeit auf Distanz auskennen, insbesondere was die Kommunikation betrifft.
  • Hybride Seminare: Trainer*innen sollten wissen, welche Themen und Maßnahmen sie online anbieten können, bei welchen dies sinnvoll ist und welche Tools sie dazu nutzen wollen. Hybride Angebote sind sowohl didaktisch sinnvoll (nachhaltiges Lernen) als auch mit Einsparungen verbunden (Fahr- und Übernachtungskosten).
  • Diversity und Inklusion: Das Thema Diversity beginnt mit dem Gender-Sternchen, geht weiter mit dem Nutzen von Diversity bezüglich der Kreativität in Teams aufgrund von Vielfältigkeit und endet mit einer klaren Positionierung hinsichtlich der Chancengleichheit in Unternehmen. Diversität und Inklusion sind jedoch keine einfachen, geschweige denn oberflächliche Themen. Wird Diversität nicht wirklich in Unternehmen gelebt, kommt es schnell zu neuen Konfliktherden. Trainer*innen müssen keine Expert*innen in dem Thema sein, sollten jedoch auch hier ein Basiswissen mitbringen.

Transparenz in der Kommunikation

Vertrauen und Transparenz

Wird vermehrt virtuell geführt, wird die Frage nach dem Vertrauen zum zentralen Thema:

  • Wie motiviere ich meine Mitarbeiter*innen, wenn ich sie primär digital zu Gesicht bekomme?
  • Wieviel Vertrauen habe ich in meine Mitarbeiter, wenn ich sie nur per Stimme oder Bildschirm empfange?
  • Wie kann ich über die Ferne einschätzen, ob meine Mitarbeiter*innen mich belügen?
  • Lässt sich am heimischen Arbeitsplatz konzentriert arbeiten?
  • Wie gehe ich mit Vertrauensenttäuschungen um?

Moderne Führung bedeutet Bindungsmanagement und Vertrauensarbeit. Vertrauen wiederum braucht Transparenz. Die jungen Leuten mit einer Talking-out-loud-Attitüde („ich brate mir grade ein Seitan-Würstchen“) wissen das. Wer sich ehrlich macht, ist eine ehrliche Haut. Dem oder der kann ich vertrauen. In diesem Sinne transportiert jede Art von Transparenz eine Wertehaltung.

Vorteile von Transparenz

  • Klares Statement: Es ist klar, wofür ich als Führungskraft stehe. Dies gibt Mitarbeiter*innen eine Orientierung.
  • Überprüfung von Absprachen: Frühere Absprachen können so überprüft werden.
  • Verhandlung ermöglichen: Gemeinsame Probleme und Unstimmigkeiten können geklärt werden.
  • Probleme in Bausteine unterteilen: Sollte es unterschiedliche Meinungen geben, lassen sich diese Schritt für Schritt reflektieren.

Insbesondere in einer Zusammenarbeit auf Distanz ist es wichtig, zu wissen, woran andere gerade arbeiten, wo es Probleme gibt und wie sie zu diesen Problemen stehen.

Ist es also so einfach? „Hosen runter“ auch für Führungskräfte?

Nachteile von Transparenz

Ist die Katze aus dem Sack, geht kein Weg mehr zurück. Was in der Politik oftmals bemängelt wird, hat seine Gründe. Wer diplomatisch vorgeht, lässt sich ein Türchen offen, was gerade in heiklen Situationen wichtig sein kann.

Die Folgen:

  • Überforderung: Ich äußere meine Emotionen offen und ehrlich, während sich mein Gegenüber schwer tut, seine Gefühle in Worte zu fassen.
  • Gesichtsverlust: Mein Gegenüber wird gezwungen, etwas zu tun, das er nicht tun will. Aus Scham wird eventuell Wut.
  • Konflikte befeuern: Es kommt zu einem Konflikt, der nicht nötig gewesen wäre. Manchmal ist es besser, das zu nutzen, was der Philosoph Robert Pfaller „Weiße Lügen“ nennt.
  • Zerstörung intuitiver Potentiale: Es gibt Phänomene, die nicht in Worte gefasst werden können. Es gibt sozusagen eine Magie des Unausgesprochenen. Ich kann beispielsweise einer trauernden Person die Hand auf die Schulter legen, ohne die Trauer zu zerreden. Hierfpr ist allerdings die analoge Welt besser geeignet als die digitale.

Deshalb gilt auch für Führungskräfte und Unternehmensleitungen: Ich muss nicht alles transparent machen, sondern sollte mir gut überlegen, wann Transparenz sinnvoll ist und wann sie eher einen Schaden anrichtet.

Mehr dazu unter (externer Link): Transparenz in der Kommunikation

Die Rolle der Personalabteilung in Konflikten

Personalabteilungen im Spannungsfeld von Konflikten

Die Funktion von Personalabteilungen hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Gerade mit Blick auf New Work und digitalisierte Arbeitswelten kamen und kommen neue Herausforderungen auf Unternehmen und Teams zu. Und damit auch neue Konflikte, sei es wegen einem erhöhten Stress und Zeitdruck oder aufgrund der Kommunikation über Distanz.

Bei Konflikten zwischen Mitarbeiter*innen und Vorgesetzten sind Personalverantwortliche (neben dem Betriebsrat) oft die erste Anlaufstelle. Doch was passiert, wenn beide Parteien eine Art Richterspruch erwarten, wie es häufig in Konflikten passiert?

Ein Beispiel: Mitarbeiterin Schubert fühlt sich mit dem steigenden Arbeitsvolumen durch ihren Vorgesetzten überfordert, klärenden Gesprächen geht er aus dem Weg, die schriftliche Kommunikation, insbesondere im Homeoffice verläuft zunehmend angespannter. Auf ihrer Seite häufen sich Fehler mit entsprechend negativen Feedbacks. Frau Schubert denkt, man könnte aus dem Teufelskreis leicht aussteigen, wenn ihr Chef sie nicht so abblocken würde. So jedoch weiß sie oft nicht, was zu tun ist und arbeitet auf Verdacht. Kein Wunder, dass es dann zu Fehlern kommt. Da ihr Chef vorgibt, keine Zeit für Klärungsgespräche zu haben, sucht sie den Weg zur Personalabteilung.

Als erstes gilt es nun zu klären, worum es Frau Schubert in geht und welche nächsten Schritte anstehen. Frau Schubert könnte ihre Führungskraft darüber informieren, dass sie den gemeinsamen Konflikt gerne mit Unterstützung der Personalabteilung angehen möchte. Je nachdem, wie verfahren die Situation ist, ist dies jedoch ein heikles Unterfangen. Konflikte werden auch daher immer noch nicht so häufig angegangen, weil die beteiligte Führungskraft einen Gesichts- und/oder Kontrollverlust befürchtet. Alternativ kann die Personalabteilung direkt tätig werden.

Nun gilt es zu entscheiden, ob eine externe Moderation notwendig ist oder nicht.

Für eine externe Moderation spricht:

  • Der Konflikt ist bereits eskaliert, die Fronten sind verhärtet.
  • Es gibt ein klares Misstrauensvotum von mindestens einer Seite gegenüber der Unparteilichkeit des Personalabteilung.
  • Die Personalabteilung hat Sympathien oder Antipathien für bzw. gegen eine Seite.
  • Es besteht ein zu hoher Grad an Vertrautheit, was oft in kleinen Organisationen anzutreffen.
  • Bisherige Lösungsversuche waren erfolglos.
  • Es bestehen Interessenkonflikte aufgrund von Abhängigkeitsverhältnissen, bspw. aufgrund langjähriger persönlicher Beziehungen zwischen zwei Parteien.
  • Die Personalabteilung verfügt nicht über das notwendige Know-how zur Moderation von Konflikten.
  • Es fehlen zeitliche Ressourcen zur Bearbeitung des Konflikts.

Es gibt also eine ganze Menge Gründe, eine externe Moderation zu beauftragen, die zum einen die nötige Erfahrung mit bringt und sich zum anderen leichter damit tut, heikle Themen offen anzusprechen.

Aufgaben für Personalabteilungen in Konflikten

1. Klären, worum es geht

Nachdem die leidendere Seite sich bereits äußerte, sollte die Personalabteilung mit einem noch nicht eskalierten Konflikt zumindest erste Klärungsgespräche führen und dann entscheiden, wie es weiter geht. Als Mediator weiß ich auch oft nicht, wo die Reise hingeht und wie groß der Konflikt bereits ist. Das erfahre ich idR erst im Laufe der ersten Sitzung.

2. Klären, wie der Prozess abläuft

Der oder die Personalabteilungsverantwortliche sollte nun den Prozess verdeutlichen, der auf die beiden Parteien zukommt. Dies kann je nach Konfliktkultur im Unternehmen unterschiedlich sein. Manche Unternehmen engagieren sofort eine/n externe/n Mediator*in. Andere – insbesondere wenn die Kompetenzen vorhanden sind – versuchen den Fall zumindest inhaltlich so zu klären, dass ein/e externe/r Mediator*in schnell loslegen kann.

Mögliche Aufgaben der Personalabteilung im Sinne einer höheren Verantwortung zu Beginn und auch während einer Mediation können sein:

  • Unterstützung bei der Konflikt-Analyse
  • Ansprechpartner*in für Führungskraft, wenn es um eine Reflexion der eigenen Führungsrolle geht
  • Klärung möglicher Anschlussmaßnahmen, beispielsweise Teamentwicklungen oder Coachings
  • Klärung möglicher Konsequenzen bei einer Nichtlösung, beispielsweise Versetzung oder Entlassung

3. Zusammenarbeit mit externen Mediator*innen

Der Erstkontakt mit externen Konfliktmoderator*innen wird zum einen genutzt, um die Ausgangslage und das Anliegen zu schildern. Gleichzeitig agieren Personalveranwortliche auch als Kulturvermittler*innen: Sie geben wichtige Hinweise zur Konfliktkultur im Unternehmen und helfen zu verstehen, wie die Probleme im speziellen und allgemeinen entstehen oder eskalieren konnten, wie üblicherlicherweise vorgegangen wird und welche Hindernisse im speziellen und allgemeinen auftreten könnten.

Darüber hinaus werden die Rollen im weiteren Prozess sowie Form, Inhalt und Umfang der Rückmeldungen definiert. Insbesondere ist die Klärung von Verschwiegenheiten bzw. deren Grenzen wichtig. In der Regel wird vereinbart, dass in der Mediation besprochene Inhalte vertraulich behandelt werden, die Personalabteilung am Schluss jedoch eine Kopie der vereinbarten Massnahmen sowie ein Feedback zum Verlauf des Prozesses und der Mitarbeit der Beteiligten erhält.

Basierend auf den Vereinbarungen zwischen Personalabteilung und Mediator*in wird den Konfliktparteien der weitere Verlauf der Mediation vorgestellt. Die Personalabteilung und der oder die Mediator*in arbeiten sozusagen als perfektes Team auf Zeit zusammen. Dies spart dem Unternehmen Zeit und Geld, Mediator*innen Nerven und erhöht die Erfolgschancen enorm.

In der nächsten Phase tritt die Personalabteilung in den Hintergrund. Die Verantwortung für die eigentliche Konfliktbearbeitung liegt nun bei den Parteien und der externen Moderation.

4. Präventionsarbeit

Jenseits des aktuellen Konflikts sollte die Personalabteilung zusammen mit der Geschäftsleitung bzw. dem Topmanagement die Konfliktkultur aktiv gestalten. Konflikte sollten etwas Normales sein, das sich lösen lässt und das man nicht verdrängen oder verschweigen sollte. Dazu braucht es das Vertrauen der Mitarbeiter*innen, Konflikte bei Führungskräften und der Personalabteilung anzusprechen. Wer Konflikte anspricht ist also kein Nestbeschmutzer, sondern sucht nach Lösungen für einen reibungsfreieren Arbeitsablauf. Hierzu ist es auch hilfreich, den Betriebsrat ins Boot zu holen, da auch dieser häufig als Anlaufstelle für Konflikte genutzt wird.

Kompetenzen der Personaler*innen

Damit Personaler*innen diese Aufgaben erfüllen können, braucht es ein Basiswissen in drei Bereichen:

  1. Konfliktmanagement-Basiswissen: Natürlich wäre eine Grundausbildung in Mediation sehr hilfreich. Grundsätzlich reicht es jedoch aus, den
  • Prozess einer Mediation, beispielsweise das Harvard-Modell,
  • Gesprächs-, insbesondere Fragetechniken für das Klärungsgespräch und
  • Eskalationsstufen (Ab wann kann ich als Personaler*in nichts mehr tun?) zu kennen.

Ein solches Wissen lässt sich, ohne zu tief in Konflikte einzusteigen, in 1-2 Tagen vermitteln.

  1. Auswahl des Mediators / der Mediatorin: Wie finde ich eine/n geeignete/n externe/n Konfliktmoderator*in? Welche Kriterien sind mir wichtig? Was passt zu unserem Unternehmen? Darf es beispielsweise emotional werden oder sollte die Mediation lieber sachlich ablaufen?
  2. Trennungsmanagement: Ähnlich wie in privaten Beziehungen werden Konflikte aufgrund von Ängsten vor möglichen negativen Konsequenzen lieber ausgehalten. Am Ende könnte sich herausstellen, dass Führungskräfte nicht führen können oder dass es für einen Mitarbeiter einfach nicht mehr passt im Unternehmen. Die Führungskraft könnte notfalls gecoacht werden. Doch eine Kündigung ist entgültig. Wenn sich das Personalmanagement darauf vorbereitet, sich ethisch sauber von Mitarbeiter*innen zu trennen, kann dies viel Angst vor Konflikten nehmen.

Mediation und Konfliktmanagement in Zeiten von Corona

Wie können Teams bei unterschiedlichen Meinungen trotzdem zusammen arbeiten?

Seit der 3G-Regel in Unternehmen häufen sich die Hinweise auf ein hohes Konfliktpotential in der Arbeit. Sind jedoch Konfliktgespräche zum Thema Corona, wenn es um Abstandsregeln, Masken und insbesondere um Impf- oder Testverweigerungen geht, überhaupt möglich?

Grundsätze einer Mediation und eines Konfliktgesprächs

Bevor ich aus Mediationssicht eine Antwort auf diese Frage gebe, sollten wir einen Blick auf die Ziele eines Konfliktgesprächs richten. Ich fokussiere mich dabei auf drei Punkte:

  1. Offenheit: Ein Konfliktgespräch sollte – wie grundsätzlich jedes Gespräch – ergebnisoffen sein. Natürlich kommt am Ende jeden Gesprächs ein Ergebnis heraus, mit dem die beteiligten Parteien leben müssen. So kann es dazu führen, dass Mitarbeiter*innen nicht bereit sind
  2. Verstehen: In der Mediation gilt der Grundsatz einer Allparteilichkeit. Allparteilichkeit bedeutet, Personen aus ihrem Kontext heraus zu verstehen. Ich selbst würde vermutlich anders handeln. Ich kann jedoch zumindest zu versuchen, die Beweggründe einer Person aufgrund ihrer biografischen Erfahrungen zu verstehen.
  3. Einigung: Eine Einigung ist erst möglich, wenn ein gegenseitiges Verstehen stattfindet. Die Lösungen nach einer Phase des gegenseitigen Verstehens sind oftmals überraschend. Meist geht es auch wesentlich schneller als erwartet.

Konfliktlösungen mit Mitarbeiter*innen zu Corona-Themen

Wenn wir uns diese Grundbedingungen ansehen, wird deutlich, dass es schwierig bis unmöglich erscheint, Konfliktlösungen zu Corona-Themen gemeinsam zu erarbeiten im Sinne einer Win-Win-Situation. Stattdessen dominieren sowohl medial als auch politisch erwünschte oder unerwünschte Bilder von der einen und von der anderen Seite der Konfliktparteien. Bekanntermaßen geht dies nicht nur in eine moralische Richtung, sondern auch eine juristische. Es geht hier strukturell betrachtet also nicht nur um Meinungsverschiedenheiten, über die moralisch unterschiedlich geurteilt werden könnte, sondern v.a. um rechtliche Vorgaben. Tragfähige Lösungen im Sinne eines Aufeinanderzubewegens zweier oder mehrerer Parteien sind daher nicht möglich. Und damit rücken auch Heilungen und Einigungen in weite Ferne.

Konfliktverschiebungen

Wenn Konfliktlösungen nicht möglich, aber die Meinungsverschiedenheiten dennoch vorhanden sind, was passiert dann mit dem Frust der Kontrahent*innen?

Zum einen finden Konfliktverschiebungen statt. Schauen wir uns solche Verschiebungen an einem typischen Beispiel aus meiner Mediationspraxis an: Ein Mitarbeiter kann oder will sich nicht impfen lassen. Er weiß, dass er sich dann vor Ort täglich testen lassen muss. Seine Arbeit erlaubt es, aus dem Homeoffice zu arbeiten. Da er jedoch der einzige im Team ist, empfinden dies die anderen Kolleg*innen als ungerecht, weil er viele Aufgaben aufgrund der Ferne nicht mitbekommt. Warum also verweigert er die Testungen?

Auch wenn die genauen Umstände im Einzelfall vielleicht bekannt sind, erlebe ich es in meiner Praxis auch bei anderen Themen sehr häufig, dass Führungskräfte eher zu wenig als zu viel von den Hinter- und Beweggründen ihrer Mitarbeiter*innen wissen. Daher plädiere ich grundsätzlich erst einmal für die Offenheit und Neugier des Wissenwollens. Ich muss nicht gut finden, warum mein*e Mitarbeiter*innen dies oder jenes tun. Interesse dafür sollte ich jedoch mitbringen.

Was könnte sich nun hinter unserem Beispiel verbergen:

  • Wohlwollend formuliert könnte es sein, dass er sich unwohl fühlt in einem Team, in dem er der einzige Ungeimpfte ist und sich erklären muss.
  • Eventuell kann er sich aufgrund einer schwerwiegenden Krankheit nicht impfen lassen. Gleichzeitig ist es ihm unangenehm darüber zu sprechen.
  • Es könnte auch sein, dass er die aktuelle Situation als ungerecht empfindet und die einzige Macht nutzt, die ihm bleibt: Der stoische Ungehorsam bzw. die Verweigerung des Testens. Eine Nichthandlung als Machtdemonstration.

Mir geht es hier nicht um logisch nachvollziehbare Hintergründe, sondern darum, was in den Menschen emotional vorgeht, welche Bedürfnisse sie haben und welche Wege sie bewusst oder unbewusst einschlagen, um ihren Bedürfnissen gerecht zu werden.

Interessanterweise stieg die Krankenquote zu Beginn der 3G-Regelung für Unternehmen bei den Berliner Verkehrsbetrieben stark an, sodass sogar S-Bahnen ausfielen. Auch Krankheit – simuliert oder entwickelt – ist eine typische Verschiebung von ungeklärten Konflikten auf die Körperebene.

Weitere typische Aggressionsverschiebungen sind:

  • Innere Kündigung
  • Passive Aggressionen: Die Menschen sind dann oberflächlich überfreundlich und beschwichtigend. Unter der Oberfläche werden jedoch Aktionen sabotiert, Termine verschleppt oder Gerüchte in Umlauf gebracht.
  • Auf einer aktiven Ebene wird genörgelt, gegrantelt oder es kommt sogar zum Mobbing.

Filterblasenbildung

Egal in welcher Situation: Jeder Mensch hat Bedürfnisse nach körperlicher oder finanzieller Sicherheit, sozialer Anerkennung und Wertschätzung. Jeder Mensch sucht nach einem Platz in der Welt und möchte ernst genommen werden. Nur die Wege, wie wir Menschen dies erreichen wollen, sind unterschiedlich. Gibt es keine Möglichkeit, seine Bedürfnisse zu befriedigen, werden Notfallpläne aktiviert. Die bedrohten Menschen gehen in Gegenwehr, wie wir dies von Nörglern oder Blockierern kennen, stellen sich tot und hoffen, dass es nicht so schlimm wird oder flüchten. Das Homeoffice in unserem Beispiel ist in diesem Sinne eine Art Flucht als mehr oder weniger aggressive Notwehr – zumindest aus Sicht der agierenden Person.

Gleichzeitig sind die Bedürfnisse immer noch unbefriedigt, was häufig zu einer starken Fokussierung auf Gleichgesinnte führt. Die Person wird sich – außer sie ist ein radikaler Einzelgänger – ähnlich denkende Menschen suchen und sich mit diesen im realen oder virtuellen Leben austauschen. Dadurch wird sie jedoch immer mehr in ihrem Denken bestätigt. Die Angst vor einer Impfung wird also größer. Die Wut auf die Andersdenkenden und die Bestätigung im Recht zu sein ebenso.

Währenddessen passiert im Unternehmen genau dasselbe. Die vor Ort verbleibenden Mitarbeiter*innen befinden sich ebenso in einer Filterblase und bestätigen sich gegenseitig in ihren Sichtweisen gegen dem fehlenden Mitarbeiter.

Wir haben es also mit einem klassischen Konflikt mit Gruppenbildung auf einer mindestens mittleren Eskalationsstufe zu tun, der sich jedoch wie dargestellt nicht so leicht läsen lässt.

Lösungsansätze

  1. Verstehen statt Lösungen: Für Führungskräfte oder Mediatoren kann es keine Lösung im Sinne einer Win-Win-Situation geben, wie dies normalerweise angestrebt wird. Es kann höchstens ein Verstehen der jeweiligen Positionen geben, sofern dies erwünscht ist. Für das Verstehen muss deutlich signalisiert werden, dass es eine gleichzeitige rechtliche Handlungsbindung gibt.
  2. Emotionen statt Meinungen: Eine Möglichkeit der Annäherung sind Emotionen. Die Meinungen sind mittlerweile sehr verhärtet. Interessanterweise sind die Emotionen aller Parteien jedoch ähnlich. Auf der einen Seite ist da die Wut auf die Gegenpartei. Auf der anderen Seite aber auch eine verbindende Angst. Die eine Partei hat Angst vor Ansteckungen. Die andere Partei hat Angst vor einem neuartigen Impfstoff. Auch wenn die Meinungen unterschiedlich sind, über die gegenseitige Akzeptanz der Emotionen könnte eine Annäherung stattfinden.
  3. Lösungen auf Zeit: Wie im genannten Beispiel kann eine Lösung auf Zeit vereinbart werden, bspw. bis ein Totimpfstoff vorhanden ist, es zu neuen Regeln oder Gesetzen, zu einer allgemeinen Impfpflicht kommt oder die Regeln wieder gelockert werden. Bis dahin ist es wichtig, jenseits von Ressentiments und Vorurteilen möglichst reibungsfrei zusammen zu arbeiten. Die Ansage an alle Parteien müsste lauten: Wir haben kein Verständnis füreinander und respektieren uns dennoch. Dies ist nur auf der Basis gemeinsamer Ziele möglich. So sollte es allen wichtig sein, einen guten Job zu machen und respektvoll miteinander umzugehen. Das gemeinsame Ziel sollte eine sachliche Kooperation sein, anstatt sich in Nebenkriegsschauplätzen wie Blockaden oder Mobbing zu verirren.
  4. Bindungsarbeit jenseits einer Lösung: Eine Führungskraft könnte beispielsweise den direkten Kontakt zu diesem Mitarbeiter per Telefon suchen und sich regelmäßig erkunden, wie es ihm geht. Es kann in diesen Gesprächen wie gesagt nicht um eine Lösung des Problems oder Konflikts handeln, sondern lediglich um die Aufrechterhaltung der Bindung über die Zeit hinweg. Deshalb ist es sinnvoll, dieses Thema ruhen zu lassen und sich stattdessen produktiveren Themen zu widmen. In der Hoffnung, dass eines Tages wieder eine echte Annäherung stattfinden kann.
  5. Die Führungskraft als Shuttle-Mediator: Da beide Parteien in ihren Filterblasen stetig bestätigt werden, könnte eine Führungskraft es als ihre Aufgabe verstehen, zwischen diesen Parteien zu vermitteln. Auch hier kann es aufgrund der aktuell rechtlichen Situation nicht darum gehen, eine Vermittlung anzustreben, sondern lediglich das Verstehen füreinander zu fördern. Die Führungskraft muss folglich zwischen der rechtlichen Ebene und der Verstehens-Ebene unterscheiden. Dies funktioniert ähnlich bei einer Frau, die jahrelang von ihrem Mann missbraucht wurde und diesen schließlich im Schlaf erschlug. Versetze ich mich in das Leben der Frau, kann ich dies nachvollziehen. Rein rechtlich ist sie dennoch des Mordes schuldig, da sie auch anders hätte handeln können, beispielsweise flüchten.
  6. Fragen statt Statements: Daran knüpft nahtlos die Arbeit mit Fragen an. Dominiert in der gegenseitigen eher eine vorwurfsvolle oder eine fragende Haltung. Als Führungskraft könnten Sie konkret die Fragen ihrer Mitarbeiter*innen sammeln und diese der jeweils anderen Seite zum nachdenken vermitteln. Dabei sind alle Fragen bis auf die Warum-Frage erlaubt, bspw: Was macht der Kollege den ganzen Tag? Ist er manchmal früher fertig? Wie oft macht er Pausen? All diese Fragen bzw. deren Beantwortung könnten dazu führen, wieder Vertrauen zueinander zu fassen.
  7. Denken in Alternativen: All das steht und fällt mit der Frage nach der Sinnhaftigkeit des eigenen Einsatzes. Will ich wirklich verstehen, was meinen Mitarbeiter bewegt? Will ich das Risiko eingehen, eventuell selbst unter Beschuss zu geraten, wenn ich dessen Beweggründe verstehen will? Will ich Bindungsarbeit leisten? Will ich zwischen den Parteien vermitteln? Wenn nein, wie lautet die Alternative? Ist Kündigung eine reale Option? Oder gibt es die Möglichkeit, dass nur ich als Führungskraft und nicht das Team mit dem Mitarbeiter zu tun habe? Eventuell bekommt er auch nur solche Aufgaben, für die es keinen Austausch mit dem restlichen Team braucht.

Wer kümmert sich eigentlich um die Führungskräfte in Krisenzeiten?

Gestern hatte ich ein Coaching-Gespräch mit zwei Geschäftsführer:innen aus einem kleinen, mittelständischen Unternehmen, für die ich schon länger als Coach und Mediator arbeite. Vor dem Termin fragte ich, ob ich mich vorbereiten soll. Die Antwort lautete: Nein.

Also unterhielten wir uns eineinhalb Stunden über alle Baustellen, die aktuell vorhanden sind. Die Überlastung mancher Mitarbeiter:innen hat sich durch Corona und die Maßnahmen dramatisch gesteigert. Mitarbeiter:innen sehen sich kaum noch. Konflikte verschieben sich oder spitzen sich zu. Manche Mitarbeiter:innen sind im Homeoffice überfordert. Eine Studie (externer Link) der Friedrich-Mohn-Stiftung ergab, dass v.a. junge Führungskräfte unter der Distanz leiden. Eventuell, weil sie noch mitten in ihrer Work-Life-Balance stecken, mit Kind und Familie. Manche Mitarbeiter:innen drohen mit Kündigung in einem Bereich, in dem ein eklatanter Fachkräftemangel herrscht. Andere sind dauerhaft in Quarantäne und müssen ersetzt werden.

Kurzum: Bei so vielen Baustellen weiß man nicht, wo man anfangen soll. Der derzeit ganze normale Corona-Wahnsinn?

Wie lautete nun die Erwartung an mich als Coach?

Wie gesagt: Wir unterhielten uns. Ich gab ein paar Rückmeldungen. Wir setzten Prioritäten zwischen wichtig und dringend. Dachten über verschiedene Zukunftsszenarien nach und kamen auf kleine Lösungen. Der große Wurf war nicht dabei. Das Ganze ist ein Prozess und ein großer Wurf wäre weder möglich noch in Anbetracht der Schwere der Probleme respektvoll gewesen.

Am Ende stellte ich ein paar Fragen zur Selbstfürsorge: Was tun Sie bei all dem Stress für sich? Worauf können Sie vertrauen? Was gibt Ihnen Stabilität und Halt?

Vielleicht sind das die wichtigsten Fragen an Führungskräfte in Krisenzeiten: Was können Sie für sich tun? Denn um alle anderen kümmern sich Führungskräfte, sofern sie ihren Job ernst nehmen. Nur nicht um sich selbst. Wenn jedoch der Kopf fällt, fällt auch alles andere.