
Das Problem: Eine hohe Fluktuation verhindert die Teamentwicklung
Traditionelle Teambildungsprozesse gehen davon aus, dass Teams nacheinander bestimmte Phasen ablaufen. Das passt jedoch nicht mehr zu den aktuellen Herausforderungen, die eine hohe Fluktuation mit sich bringt.
Klassische Phasenkonzepte
Klassische Teambildungsprozesse gehen meist von einem Phasenplan aus, der mehr oder weniger stringent ablaufen sollte. Das gängigste Modell stammt von Bruce Tuckman mit den Phasen:
- Forming: Die Gruppe kommt zusammen.
- Storming: Einzelne in der Gruppe streiten sich um die Vormachtstellung.
- Norming: Regeln dämmen die größten Kämpfe ein.
- Performing: Die Gruppe ist arbeitsfähig.
- Re-Forming: Die Gruppe löst sich auf bzw. wird neu formiert.
Das Problem am Phasenmodell von Tuckman ist jedoch nicht nur der stringente Ansatz, sondern die Maxime, dass Gruppen erst dann arbeitsfähig sind, wenn sie die Stormingphase hinter sich gebracht haben. Ich hatte in meiner Mediations- und Teamentwicklungspraxis tatsächlich Teams, die sich auf einer oberflächlichen Ebene einig waren, jedoch kaum einen Sturm überstanden hätten. Doch solange alles in geregelten Bahnen ablief, waren sie durchaus arbeitsfähig. Damit verändern sich jedoch die Phasen in der Praxis:
- Forming: Die Gruppe kommt zusammen.
- Norming: Regeln dämmen die größten Kämpfe ein, bspw. mit Hilfe meines 4R-Konzepts, siehe unten.
- Performing: Die Gruppe ist arbeitsfähig.
- Storming: In Krisenzeiten kann es sinnvoll sein, die Stormingphase nachzuholen.
- Re-Forming: Es kann aber auch sein, dass die Gruppe sich zuvor bereits auflöste. Derzeit besteht insbesondere bei jüngeren Menschen ohnehin die Tendenz, sich bei aufkommenden Problemen umzuorientieren, v.a. weil der Markt aufgrund des Personalmangels einen Wechsel erleichtert.
Das weniger bekannte Konzept von Helga Belz kommt dem entgegen und präsentiert entsprechend einen individuelleren Ansatz:
- Orientierungsphase: Die Gruppe lernt sich kennen: Wer sind die anderen?
- Motivationsphase: Der persönliche Bezug jedes einzelnen Mitglieds wird hergestellt: Warum bin ich hier?
- Initiativphase: Das persönliche Engagement steht im Vordergrund: Was will ich hier erreichen?
- Konfrontationsphase: Die Gruppe wird mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Anliegen und Zielen konfrontiert: Widersprechen sich die jeweiligen Anliegen?
- Kooperationsphase: Die Gruppe realisiert, dass sie nur gemeinsam weiterkommt: Was müssen wir tun, damit wir gemeinsam arbeitsfähig sind?
Auch wenn hier die Kooperation ähnlich wie bei Tucker nach der Konfrontation stattfindet, wird zumindest das Individuum stärker betont.
Die Lösung: Team versus Arbeitsgruppe
Die Lösung des Problems der Teambildung besteht in einer klaren Abgrenzung zwischen Team und Arbeitsgruppe. Ein Team, bspw. ein Projektteam, ist abhängiger voneinander als eine Arbeitsgruppe. Ein Team arbeitet nicht nur fachlich zusammen, sondern braucht für gemeinsame kreative Prozesse das gegenseitige Vertrauen, offen und ehrlich mit Feedback umzugehen. Hier ist es unerlässlich, die Storming- oder Konfrontationsphase durchzumachen.
Für reine Arbeitsgruppen jedoch reichen drei Phasen der Zusammenarbeit aus:
- Motivationsphase: Was trägst du persönlich zum Unternehmenserfolg bei? Welche fachlichen Kompetenzen bringst du dafür mit? Welche Weiterbildungen strebst du an?
- Austauschphase: Was fehlt dir an Kompetenzen? Was erwartest du von anderen, um deine Fähigkeiten zu ergänzen?
- Kooperationsphase: Welche Richtlinien, Regeln, Rituale und Rollen (4R) helfen uns, um reibungsfrei zusammen zu arbeiten?
Das 4R-System: Richtlinien, Regeln, Rituale und Rollen
Gerade in einer hybriden Zusammenarbeit braucht die Zusammenarbeit eine klare Struktur. Mögliche Rollen in Meetings können sein:

Hilfreiche Richtlinien in der digitalen Welt:
- Ergebnisse sind wichtiger als Wege.
- Chatten zur Bindung ist erwünscht.
- Rückrufe sollten innerhalb … stattfinden.
- Onlinemeetings sollten max … Minuten dauern.
- Sachliche Themen lassen sich effizient in Onlinemeetings besprechen. Für emotionale Themen braucht es Präsenzbesprechungen.
- Die Einarbeitungszeit findet weitgehend in Präsenz statt.
- Die Kamera sind in Onlinemeetings an. Ausnahme: Datenschutz
Hilfreiche Regeln in der digitalen Welt:
- Vor jeder Entscheidung stelle ich mir die Frage, wer davon betroffen ist.
- Unsere verbindliche Kernzeiten & Erreichbarkeiten lauten: …
- Ich schalte das Telefon um, wenn ich im Homeoffice bin.
- Missverständnisse werden frühzeitig in Präsenz oder per Telefon geklärt.
- Wer krank ist, arbeitet auch nicht im Homeoffice.
- Aufgabenbewältigung geht vor Homeoffice.
- Nach 20 Uhr werden keine eMails mehr verschickt bzw. bearbeitet.
- Wochenende ist Wochenende.
Hilfreiche Rituale in der digitalen Welt:
- Regelmäßige Feedbackgespräche (Debriefings) zwischen Teamleitung und Mitarbeiter*innen zur Kontaktpflege
- Monatliche verpflichtende Aktionstage
- Regelmäßige (freiwillige) Teamevents
- Regelmäßige Präsenzbesprechungen
Das Fazit
Viele Trainer- und Teamentwickler*innen hängen aus meiner Sicht noch der „reinen Lehre“ der Phasenmodelle an. Die aktuelle Entwicklung einer hohen Fluktuation macht solche Phasen jedoch beinahe unmöglich. Hinzu kommt die Zusammenarbeit in einer hybriden Welt. Deshalb braucht es heutzutage andere Konzepte und die Akzeptanz, dass viele vermeintliche Teams nicht unbedingt eine Stormingphase brauchen, um gut zusammenzuarbeiten.
Unabdingbar sind jedoch:
1. Motivation: Das persönliche Bekenntnis, Engagement zu zeigen und seine Ziele transparent zu machen bzw. sich offen zu den Unternehmens- bzw. Gruppenzielen zu bekennen, bereitet den späteren Austausch vor.
2. Austausch: Ein sachlicher und fachlicher Austausch über die eigenen Ziele und Kompetenzen schafft Vertrauen. Der Austausch darüber, welche Kompetenzen andere Kolleg*innen mitbringen und inwiefern dies die Zusammenarbeitenden insgesamt ergänzt, um gemeinsame Ziele zu erreichen, zeigt den Respekt voreinander und erhöht zusätzlich das Vertrauen zueinander. Die Maxime lautet: Ein modernes Wissensmanagement orientiert sich an fachlichen Kompetenzen und ist unabhängig von Sympathie.
3. Struktur: In einer Welt, in der Bindung immer schwieriger herzustellen ist, braucht es klare Strukturen aus Richtlinien, Regeln, Ritualen und Rollen, auf die sich alle in der Gruppe einigen und verlassen können.
Anlage: Ein Gruppenbildungsprozess in Zeiten hoher Fluktuation mit detaillierten Fragen