Wie Teammitglieder Verantwortung übernehmen

Ein großes Thema in meinen Seminaren betrifft regelmäßig die mangelnde Verantwortungsübernahme idR. einzelner Mitarbeiter*innen oder im Falle größerer Veränderungen ganzer Teams. Die üblichen Versuche, Aufgaben zu delegieren oder auf einer moralischen Ebene zu argumentieren („Wir sitzen alle in einem Boot“ oder „Es ist unfair, wenn …“) laufen jedoch oftmals ins Leere. Es folgen Verschleppungen von Aufgaben, ein Aussitzen nach dem Vogel-Strauß-Prinzip oder sogar offener Widerstand.

In all diesen Fällen ist es hilfreich, mit Einzelpersonen oder dem gesamten Team über die 4 Problembewusstseinsstufen nach Jacqui Lee Schiff zu diskutieren, die ich um eine 5. Stufe der Verantwortungsübernahme in der Praxis erweitere. Hier aus Sicht des gesamten Teams:

Stufe 1: Existenz des Problems Ist uns allen bewusst, dass es überhaupt ein Problem gibt? Worin besteht das Problem? Für wen ist es ein Problem?

Stufe 2: Bewertung des Problems Was passiert, wenn das Problem nicht gelöst wird? Wer leidet dann am meisten – kurzfristig und langfristig?

Stufe 3: Lösbarkeit des Problems Konnten wir bereits ähnliche Probleme lösen? Wenn ja, wie? Ist es überhaupt denkbar, dass dieses Problem gelöst oder zumindest ansatzweise verändert wird?

Stufe 4: Selbstwirksamkeit Was können wir selbst tun, um das Problem – wenn auch nur ansatzweise – zu lösen? Wen oder was brauchen wir dafür? Wenn sich das Problem nicht lösen lässt: Wie sollen wir damit umgehen?

Stufe 5: Verantwortungsübernahme Wenn wir rein theoretisch in der Lage sind, Problemlösungen anzugehen: Was könnte uns praktisch daran hindern, tätig zu werden? Was brauchen wir, um tätig werden zu wollen? Welche Bedenken gilt es auszuräumen?

Es kann also durchaus passieren, dass Sie als Führungskraft eine Aufgabe in dem Bewusstsein delegieren, dass allen Mitarbeiter*innen klar ist, dass ein Problem eine hohe Relevanz hat und auch von ihnen lösbar ist. Ihre Leuten befinden sich jedoch noch nicht einmal auf Stufe zwei. Sie haben zwar erkannt, dass das Problem für irgend jemanden besteht, nicht jedoch dass es auch langfristige negative Konsequenzen für sie selbst haben kann, wenn das Problem nicht angegangen wird. Diskutieren Sie in einem solchen Fall über Lösungen, läuft das Gespräch ins Leere: „Warum soll ich mich mit etwas beschäftigen, das für mich nicht relevant ist?“

Ebenso ist es bei der Einführung neuer digitaler Prozesse durchaus denkbar, dass eine zügige Adaption zwar kurzfristig aufwändig ist, jedoch mittelfristig dem Team Arbeit abnimmt. Langfristig könnte es schlimmstenfalls sogar passieren, dass sich eine frustrierte Führungskraft von ihrem jetzigen Arbeitsplatz weg bewirbt, sich jedoch gerade die Blockierer im Team nicht so leicht umorientieren können und vielleicht sogar ihren Job verlieren.

Findet der Austausch auf der gleichen Stufe und daher mit dem gleichen Problembewusstsein statt, ist die Übernahme von Verantwortung eine logische Konsequenz: „Wenn ich schon realisiere, dass …, muss ich wohl auch …“ Befinden Sie sich jedoch nicht auf der gleichen Problemstufe, ist Frustration vorprogrammiert.

Kleiner Tipp am Rande: Die Problembewusstseinsstufen sind auch für Eltern pubertierender Kinder enorm hilfreich. Kinder zum Lernen zu bringen ist quasi unmöglich, wenn ihnen nicht bewusst ist, dass ein fehlendes Abi überhaupt ein Problem für sie sein könnte.

Ganz dicke Literaturempfehlung: Kessel / Raeck / Verres – Ressourcenorientierte Transaktionsanalyse